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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Miss Hawley und ihre Helferin

Ihr blauer VW-Käfer hat das gleiche Baujahr wie meine Knochen: 1963. Nach wie vor fährt Elizabeth Hawley mit ihrem Auto aus längst vergangenen Tagen vor den Hotels in Kathmandu vor. Inzwischen sitzt die 87 Jahre alte US-Amerikanerin nicht mehr selbst am Steuer, sondern lässt sich chauffieren. Aber aufs Altenteil setzt sich Miss Hawley, wie sie von allen genannt wird, nicht. Sie ist die große Chronistin des Himalaya-Bergsteigens. Seit Jahrzehnten führt sie in Kathmandu Buch über die Expeditionen zu den in Nepal gelegenen höchsten Bergen der Welt.


Miss Hawley mit Ralf Dujmovits

Verrückte Bergsteiger

„Sie kann viele Bergsteiger nicht verstehen. Sie sagt dann immer: They are all mad (Sie sind alle verrückt)!“, erzählt Billi Bierling (Unser Gespräch beim International Mountain Summit im vergangenen November in Brixen könnt ihr unter dem Artikel nachhören). Die 43 Jahre alte deutsche Journalistin lebt seit Jahren in Kathmandu und unterstützt Miss Hawley, indem sie in ihrem Auftrag die Bergsteiger vor und nach den Expeditionen befragt. „Ich fühle mich fast geehrt, dass ich mit Miss Hawley zusammenarbeiten kann. Sie gehört zu einer Generation, die ausstirbt.“ Schließlich sei die US-Amerikanerin bereits in den 1950er Jahren nach Nepal gekommen, in der Pionierzeit des Bergsteigens an den Achttausendern.

Keine Schiedsrichterin

Miss Hawley genießt unter den Extrembergsteigern höchste Autorität. Stuft sie in ihrer Chronik „Himalayan Database“ einen Gipfelerfolg als „disputed“, also umstritten ein, haftet der Expedition ein ernsthafter Makel an. „Sie ist aber keine Schiedsrichterin, nur Historikerin und Archivarin“, stellt Billi klar. „Sie kann nicht entscheiden, ob eine Miss Oh auf dem Kangchendzönga war oder nicht. Aber sie hinterfragt und stöbert nach.“ Die Besteigung des dritthöchsten Bergs der Erde durch Oh Eun Sun im Jahr 2009 stufte die alte Dame als „disputed“ ein. Dieses Urteil kann nicht einfach beiseite gewischt werden. Nach Miss Hawleys Beurteilung gilt es in der Szene als zumindest fragwürdig, ob die Südkoreanerin wirklich die erste Frau war, die auf allen 14 Achttausendern stand, oder ob diese Ehre nicht der Baskin Edurne Pasaban gebührt.

Bergsteiger-Lügen haben kurze Beine

Kurioserweise hat Miss Hawley selbst nie einen hohen Berg bestiegen. Aber sie verfügt über sehr viel Menschenkenntnis und ein profundes Hintergrundwissen. Als ich sie 2005 in Kathmandu traf, erzählte sie mir von einem Koreaner, den sie fragte, was er auf dem Gipfel des Dhaulagiri vorgefunden habe. Der Bergsteiger erzählte von einem Aluminiumpfahl – und schon war er ertappt. Denn dieser Stab steht auf einem Vorgipfel des Achttausenders. „Lügen haben kurze Beine. Das gilt auch fürs Bergsteigen“, sagt Billi Bierling.


Billi Bierling

Eine von ihnen

Im Gegensatz zu Miss Hawley hat sie bereits zwei Achttausender bestiegen: 2009 mit einer kommerziellen Expedition den Mount Everest und 2010 den Manaslu. „Das hilft mir ungemein“, erzählt Billi. Man könne ihr nicht mehr so schnell ein X für ein U verkaufen. Außerdem werde sie mehr respektiert. „Ich merke schon, dass die Leute denken: Das ist ja nicht nur die Verrückte, die mit dem Fahrrad durch Kathmandu streift und die Leute interviewt, sondern sie war selbst da oben.“

Keine zweite Miss Hawley

In diesem Jahr will Billi den Lhotse besteigen. Damit riskiert sie, mit Miss Hawley genauso aneinanderzugeraten wie bei ihrer Besteigung des Manaslu. „Ich dachte, sie schmeißt mich raus. Sie war stinksauer, dass ich gegangen bin. Sie will mich 365 Tage in Kathmandu haben.“ Doch dazu ist Billi nicht bereit. „Ich glaube, wenn Miss Hawley mal nicht mehr ist, wird ein Stück Himalaya-Geschichte sterben. Ich werde bestimmt irgendwie involviert bleiben. Aber ich werde bestimmt keine zweite Miss Hawley werden.“

Interview mit Billi Bierling

Datum

23. Januar 2011 | 12:15

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