Sonnenaufgang mit Weichei
Der Wecker gehört nicht zu meinen Freunden. Manchmal wird er sogar zum Feind. Wie heute morgen, als er um 3.40 Uhr klingelt. Eine unchristliche Zeit, die mit meinem Biorhythmus in etwa so vereinbar ist wie das Oktoberfest für einen Antialkoholiker. Doch die Sonne schert sich nun einmal nicht um Morgenmuffel. Wer sie aufgehen sehen will, muss früh aus den Federn. Am Vorabend habe ich meine Bergklamotten bereits so weit vorbereitet, dass ich, noch im Halbschlaf, nur hineinschlüpfen muss. Den Blick in den Spiegel schenke ich mir, nach einem Zombie ist mir am frühen Morgen nicht zu Mute.
Langkofel im ersten Sonnenlicht
Mrgn!
Die Hotellobby ist glücklicherweise so spärlich beleuchtet, dass die anderen Frühaufsteher meinen erbärmlichen Zustand kaum wahrnehmen können. Im Halbdunkel ahne ich, dass es den anderen kaum besser ergeht. Unsere Kommunikation erstreckt sich auf die überlebenswichtigen Dinge: „Mrgn!“ (Frühaufsteher-Variante von ‚Guten Morgen’)- „Kaffee?“ – „Mmh!“ Erst an der noch sehr frischen Luft erwachen die Lebensgeister. Langsam, sehr langsam. Oswald Runggaldier hat in dieser Hinsicht schon einen beachtlichen Vorsprung. Der Bergführer wirkt nicht nur hellwach, sondern trägt bei Temperaturen von geschätzt zehn Grad Shorts. Spätestens jetzt komme ich mir nicht nur als müdes, sondern auch noch weiches Ei vor.
Edelweiß
Wolkensteins Hausberg wolkenfrei
Oswald erzählt mir später, dass er, wenn auch nur entfernt, mit dem Ex-Skirennfahrer Peter Runggaldier verwandt ist. Irgendwie scheint hier im Grödnertal jeder einen prominenten Verwandten zu haben. Unser Ziel ist der Berg Steviola, 2138 Meter hoch, über Wolkenstein gelegen. Als wir vom Parkplatz aufwärts stapfen, ist es noch stockdüster. Doch schon bald lichtet sich der Wald. Keine Wolke trübt den Himmel. Langsam legt sich mein Groll gegen den Wecker. Ich finde meinen Rhythmus und steige gleichmäßig höher. Bald liegt uns das Tal zu Füßen, vor uns thront majestätisch der Langkofel. Der 3181 Meter hohe Felsklotz ist der Hausberg Wolkensteins, ein Riesenstein, der sich gestern noch trotzig hinter Wolken versteckt hielt.
Gipfelkreuz auf dem Steviola
Keine Diskussionen!
Nach gut einer Stunde und 600 Höhenmetern erreichen wir das Hochplateau des Steviola. Ein eisiger Wind bläst dort oben. Schnell stülpen wir uns alle verfügbaren Jacken, Mützen, Stirnbänder und Tücher über. „Manche unterschätzen die Tour, obwohl wir sie als ‚schwierig’ angeben“, sagt Oswald. (Das Gespräch könnt ihr unten nachhören.) „Zu dieser frühen Stunde sind wir einfach nicht gewohnt, uns so viel zu bewegen.“ Wie wahr. Mein Körper hat mir inzwischen endgültig den Vogel gezeigt: ‚Erst hetzt du mich aus dem warmen Bett, dann jagst du mich den Berg hinauf und jetzt bleibst ausgerechnet an der ungemütlichsten, weil windigsten Stelle stehen!’Zu dieser frühen Stunde lasse ich mich auf keine Diskussionen ein. Ich tue so, als müsste ich mich auf den Fotoapparat konzentrieren. Inzwischen erreichen die ersten rötlichen Sonnenstrahlen die Gipfelzone des Langkofel. Ein toller Anblick, der für halb erfrorene Fingerspitzen entschädigt.
Oswald Runggaldier an der \’Silvesterscharte\‘
Laune-Thermometer steigt
Das Aha-Erlebnis folgt wenig später. Kaum hat sich die Sonne endlos langsam über die Bergkante gequält (wahrscheinlich auch ein Morgenmuffel) wird es um gefühlte fünf Grad wärmer. Unser Laune-Thermometer steigt in gleichem Maße. Selbst jene, die vorher noch bibberten, als stünden sie am Nordpol, eilen nun beschwingt talwärts. Schließlich wartet ein deftiges Frühstück auf der Juac-Alm auf uns. Als wir eine halbe Stunde später gestärkt und gesättigt wieder ins Freie treten, dürfte bei den meisten im Tal erst der Wecker klingeln. Immer diese Weicheier!
Walk and Talk mit Bergführer Oswald Runggaldier
P.S. Der lange Tag war damit natürlich nicht zu Ende. Was ich heute sonst noch erlebt habe, reiche ich euch nach.
P.P.S. Blogadresse vergessen? Einfach www.stefannestler.de eingeben, schon bist du da!