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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Faire Idee in Zeiten der Unfairness

Ralf (r.) und ich beim IMS in Brixen

„Entschuldigung, ich muss einen Moment grinsen.“ Eigentlich sollte meine Frage, ob das Kapitel Mount Everest für ihn wirklich ein für allemal abgeschlossen sei, nur locker ins Gespräch führen. Doch da habe ich bei Ralf Dujmovits wohl einen Nerv getroffen, der sich noch immer regt: „Man soll ja niemals nie sagen.“ Die Massen auf den Normalwegen hätten ihn ziemlich abgeschreckt und letztlich auch vor fünf Monaten zu seinem spontanen ‚Lebe wohl, Everest!’ verleitet, sagt Ralf. „Wenn ich es mir dann aber so recht überlege, bleibt der Everest außerhalb der beiden Normalwege immer noch ein sehr einsamer, schöner und großer Berg. Und die Idee, dort ohne künstlichen Sauerstoff oben anzukommen, ist immer noch da.“ In diesem Frühjahr hatte der 50-Jährige zum dritten Mal innerhalb weniger Jahre vergeblich versucht, den Mount Everest auf dem Normalweg ohne Atemmaske zu besteigen – 30 Jahre, nachdem er den Gipfel des höchsten aller Berge erreicht und dabei zu Flaschensauerstoff gegriffen hatte. Ralf empfindet das immer noch als Makel seiner Karriere, hat er doch die anderen 13 Achttausender allesamt „oben ohne“ geschafft. 

Die Idee Everest ohne Atemmaske lebt noch, sagt Ralf Dujmovits.

Sherpa trägt die Flasche 

Die große Mehrheit der Bergsteiger am Everest hat deutlich weniger Skrupel. Etwa die Hälfte von ihnen greife bereits ab Lager 2 auf 6300 Metern zur Atemmaske, hat Ralf beobachtet. „Und es ist keine Ausnahme mehr, dass Leute schon vom Basislager aus mit Sauerstoff unterwegs sind. Sie tragen ihre Flaschen nicht einmal selbst. Die hat der Sherpa im Rucksack, der einen Meter vor ihnen hergeht. Das hat mit Höhenbergsteigen auch im Ansatz nichts mehr zu tun.“ 

Ralf: Das hat mit Höhenbergsteigen nichts mehr zu tun

Katastrophe mit Ansage  

Zeltdorf am Südsattel

Wie für seine Frau Gerlinde Kaltenbrunner kamen auch für Ralf die diesjährigen Todesfälle im Gipfelbereich des Mount Everest nicht überraschend: „Für mich war vorhersehbar, dass es mit dieser Menge an Leuten oben am Gipfelgrat zum Stau kommen und damit den Leuten teilweise der Sauerstoff ausgehen würde.“ Auch in den nächsten Jahren werde es wohl Bergsteiger geben, die das Abenteuer Everest mit dem Leben bezahlen, glaubt Ralf. Zum einen, weil die Regierung Nepals die Zahl der Genehmigungen nicht beschränke, zum anderen weil sich Bergsteiger am Everest versuchten, die dort eigentlich nicht hingehörten: „Ich habe ja immer vehement abgelehnt, dass da viele unterwegs sind, die gar keine Erfahrung haben. Aber in diesem Frühjahr habe ich mit eigenen Augen Leute gesehen, die wahrscheinlich zum ersten Mal Steigeisen unter den Füßen hatten.“ 

Everest-Katastrophe mit Ansage?

Klimawandel lässt grüßen  

Gefährlicher Eisbruch

Diese unerfahrenen Everest-Anwärter seien geradezu prädestiniert, in Lebensgefahr zu geraten. Dazu addierten sich noch die gestiegenen objektiven Gefahren, berichtet Ralf – etwa im Khumbu-Eisbruch oberhalb des Basislagers: „Durch die globale Erwärmung haben wir einen sehr starken Rückgang der großen Hänge-Seracs oberhalb des Eisbruchs und damit bricht einfach ständig etwas ab. Inzwischen donnern täglich so viele Lawinen in den Eisbruch wie früher im Verlauf einer ganzen Expeditionssaison.“ 

Akklimatisierung im Sauerstoffzelt 

Dennoch ist nicht damit zu rechnen, dass sich im Frühjahr 2013 weniger Everest-Anwärter im Basislager tummeln als in diesem Jahr. Das Ende der Fahnenstange des Wahnsinns ist offenbar noch nicht erreicht. So bietet ein Veranstalter aus den USA jetzt eine „Elite Expedition“ für 85.000 Dollar pro Person an: Sauerstoffzelte zur Akklimatisierung; Hubschrauberflüge statt Trekking ins Basislager; keine einheimische, ausschließlich westliche Kost; noch mehr Unterstützung durch Sherpas (Werbung: „Du kletterst niemals mit mehr als einem Tagesrucksack“); nur noch 50 statt 60 Tage Expeditionsdauer. 

Ralf ist skeptisch, ob Rundum-sorglos-Paket funktioniert.

„Das wird sicher Schule machen“, sagt Ralf. Die Leute wollten immer weniger Zeit in Expeditionen investieren. Damit bleibe auch ein Teil des Gesamterlebnisses auf der Strecke. „Es entspricht dem Zeitgeist, dass man eher ein ganz versichertes, kleines Abenteuer sucht, wo vor allem die Sicherheit, am Gipfel stehen zu können, im Vordergrund steht.“ Ralf glaubt nicht, dass der massive Einsatz von Sauerstoffzelten der Weisheit letzter Schluss ist. Bei einer „Generalprobe“ am Achttausender Makalu seien die Teilnehmer dieser Expedition nicht besser akklimatisiert gewesen als jene Bergsteiger, die sich herkömmlich vorbereitet hätten. „Die sind zwar schneller in die Höhe, aber nicht weiter gekommen und haben letztlich auch keinen Erfolg gehabt.“

Datum

30. Oktober 2012 | 14:32

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