Vor 100 Jahren: Scott am Südpol
Robert Falcon Scott ergeht es wie einem Radsprinter: Der Zweite ist der erste Verlierer. Als er am 18. Januar 1912, also heute vor genau 100 Jahren, am Südpol eintrifft, weiß er bereits seit zwei Tagen, dass er den Wettlauf gegen den Norweger Roald Amundsen verloren hat. „Das Furchtbare ist eingetreten, das Schlimmste, was uns widerfahren konnte“, vertraut Scott seinem Tagebuch an. „Die Norweger sind uns zuvor gekommen. Amundsen ist der Erste am Pol!“ Ein verlassener Lagerplatz nahe dem Südpol, eine norwegische Fahne, die im Wind flattert, sowie Hundespuren sind die untrüglichen Zeichen für Scott, dass er zu spät gekommen ist.
Aufs falsche Pferd gesetzt
Scott hat sich verspekuliert. Mit seinen Ponys setzte er buchstäblich auf die falschen Pferde. Die schwächelnden Tiere musste er erschießen lassen. Auch das Experiment mit den Motorschlitten schlug fehl. Die Motoren waren der Kälte nicht gewachsen. Die Norweger waren vor allem deshalb schneller, weil sie sich auf Material und Methoden verließen, die sich zuvor bewährt hatten. Als Scott und seine vier Begleiter die Hinterlassenschaften des Amundsen-Teams finden, entweicht aus ihnen alle Kraft und Motivation – fast so, als hätte jemand mit einer Nadel in einen Luftballon gestochen. Die enttäuschten Mienen der Briten auf dem Foto, das sie am Südpol vor dem „zu spät gekommenen Union Jack“ (Scott) machen, sprechen Bände.
Entbehrung, Hunger, Kälte
Der 43 Jahre alte Expeditionsleiter ahnt möglicherweise schon, dass dies eine Reise ohne Wiederkehr ist. „Vor uns liegt eine Strecke von 1500 Kilometern mühsamer Wanderung, 1500 Kilometern trostlosen Schlittenziehens, 1500 Kilometern Entbehrung, Hunger und Kälte“, schreibt Scott. „Wohlan, Traum meiner Tage, leb wohl!“ Gut zwei Monate lang kämpft er sich noch mit seinen Gefährten zurück durch das ewige Eis. Dann sind auch die letzten Kräfte erschöpft. „Um Gottes Willen, sorgt für unsere Hinterbliebenen!“, lautet Scotts abschließender Tagebucheintrag. Im November 1912 findet ein Suchtrupp das Lager mit den Leichen der drei Abenteurer, die es bis dorthin schafften. Zwei weitere waren bereits vorher gestorben.
Drei Briten am Pol
Und heute? Drei britische Soldaten, die sich vor zweieinhalb Monaten auf Scotts Spuren zum Südpol aufgemacht hatten, trafen pünktlich zum 100. Jahrestag auf 90 Grad Süd ein – nach 76 Tagen auf dem Eis.