More DW Blogs DW.COM

Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Pasaban: Everest wirkt wie Disney World

Edurne Pasaban

Im Sport gilt der Zweite oft als erster Verlierer. Am 17. Mai 2010 bestieg die Spanierin Edurne Pasaban mit der Shishapangma ihren letzten der 14 Achttausender. Aber bis heute ist unklar, ob sie die erste oder zweite Frau war, der dieses Kunststück gelang. Die Südkoreanerin Oh Eun Sun vervollständigte ihre Achttausender-Sammlung drei Wochen früher, doch deren Besteigung des Kangchendzönga bleibt umstritten. Als ich jetzt mit Edurne auf der ISPO in München sprach, machte die 39-Jährige auf mich den Eindruck, als wäre sie mit der Welt, den Bergen und sich im Reinen:

Edurne, du hast 2010 die Sammlung der 14 Achttausender vervollständigt. Bist du seitdem im Himalaya gewesen?

Ich bin 2011 zum Everest zurückgekehrt. Er war 2001 mein erster Achttausender, damals nutzte ich für die Besteigung Flaschen-Sauerstoff. Deshalb wollte ich den Everest jetzt nach Abschluss der Achttausender ohne Sauerstoff versuchen. Aber wir erreichten nicht den Gipfel. 

Bis jetzt gibt es Diskussionen darüber, ob Oh Eun-Sun den Gipfel des Kangchendzönga erreicht hat oder nicht. Hat dich diese Debatte beschäftigt oder kalt gelassen? 

Solche Dispute sind weder für mich noch für Miss Oh noch für alle Alpinisten gut. Das wirft kein gutes Licht auf die Bergsteiger. Es war eine schwierige Situation, dass ich gar nichts tun konnte. Der südkoreanische Bergsteigerverband hat gesagt, dass Miss Oh den Kangchendzönga nicht bestiegen hat. So begann die Debatte, für mich war das sehr eigenartig. 

Edurne Pasaban: Die Debatte um Miss Oh

In diesem Fall wäre nicht Miss Oh, sondern wärst du die erste Frau, die alle Achttausender bestiegen hat. Fühlst du dich nun als Erste oder Zweite? 

Es war das große Projekt, die große Herausforderung meines Lebens, eines Tages alle Achttausender zu besteigen. Es stimmt, dass es schön ist, Erster zu sein, aber es ist nicht das Entscheidende. Da gibt es noch viele andere Dinge. Ich habe viel Zeit in dieses Projekt investiert. Es war ein Teil meines Lebens, aber nun befinde ich mich in einem anderen Abschnitt. 

Bist du in ein tiefes Loch gefallen, nachdem du dein Ziel erreicht hattest? 

Ich dachte: Was mache ich nun? Ich hatte einen großen Teil meines Lebens auf Expeditionen verbracht. Wenn du eine machst, planst du schon die nächste. Ich sah vor mir ein großes Loch. Aber als ich mich damit beschäftigt habe, habe ich gesagt: Zunächst einmal brauche ich Zeit für mich. Seitdem sind zwei Jahre verstrichen. Ich bin weiter geklettert, in den Alpen oder andernorts. Ich hätte nie gedacht, dass ich eines Tages ohne Achttausender leben könnte, aber jetzt kann ich es. Das Leben geht weiter.

Edurne Pasaban: Das Leben ohne 8000er

Ist das eine Art neue Freiheit? 

Ja. Aber wenn du etwas beendest, siehst du diese Freiheit zunächst nicht klar. Du brauchst eine Weile, bis du merkst, dass du jetzt auch andere Sachen machen kannst, z.B. mit Freunden in den Pyrenäen bergsteigen oder zehn Tage in den Alpen klettern oder Ski fahren. Vorher hatte ich diese Zeit einfach nicht, jetzt habe ich sie.

Haben die Achttausender für dich ihre Faszination verloren?

Nein, sie sind immer noch wichtig. Ich habe dort schöne Lebensjahre verbracht. Sollte mich jetzt ein Freund fragen, ob ich ihn zu einem Achttausender begleiten will, würde ich mitkommen. Ich mag das Leben im Basislager, und ich mag Expeditionen. 

Im nächsten Mai wird der 60. Jahrestag der Erstbesteigung des Mount Everest gefeiert. Wie denkst du heute über den höchsten Berg der Erde? 

Der Everest ist ein besonderer Berg, der höchste, das Dach der Welt. Jeder, der zu klettern beginnt, ob im Himalaya oder sonst wo, hat das Ziel, einmal im Leben den Everest zu besteigen. Als ich das 2001 gemacht habe, dachte ich vorher, ich würde am Gipfel weinen oder durchdrehen. Aber so war es nicht. Ich hatte Angst, machte ein Gipfelfoto und stieg wieder ab. Ich habe dort oben etwas verloren. Der Everest ist schön und der höchste, aber er ist kein fantastischer Ort. In den letzten Jahren hat sich am Everest viel verändert. Er ist im Frühjahr auf den Normalwegen auf der Süd- und Nordseite ein kommerzieller Berg. Aber wenn du einen einsamen Everest erleben willst, kannst du das auch haben: im Winter oder auf einer anderen Route. Es gibt mehr als 15 Routen, auf denen niemand klettert. Wir reden viel über die Massen am Everest. Aber es gibt auch einen anderen Everest, den du finden kannst, wenn du es nur willst. 

Würde dich das nicht auch reizen? 

Nur zwei Prozent der Bergsteiger am Everest sind ohne Sauerstoff unterwegs. Als ich begann, die Achttausender zu besteigen, habe ich mich umgesehen und festgestellt, dass nur wenige auf Sauerstoff verzichteten. Deshalb habe ich 2001 auch zu Sauerstoff gegriffen. Aber nachdem ich alle Achttausender bestiegen habe, weiß ich, dass man auch ohne Sauerstoff am Everest erfolgreich sein kann, wenn man viel trainiert. Heute kenne ich meinen Körper und weiß, wie ich mich in großer Höhe fühle. Ich spüre, dass ich vielleicht eines Tages ohne Flaschen-Sauerstoff zum Everest zurückkehren möchte.

Edurne Pasaban: Everest ohne Sauerstoff

Was wünschst du dem Mount Everest für die Zukunft?

Die letzten Nachrichten vom Everest waren keine guten Nachrichten. Es wirkt, als wäre der Everest eine Show, eine Art Disney World. Aber so ist es nicht. Ich denke, das größte Geschenk, das wir dem Everest machen können, ist, großen Respekt vor ihm zu haben. Vielleicht ist der Everest kommerziell, aber er ist ein Berg, dazu noch der höchste. Und wir müssen ihm respektvoll begegnen.

P.S. Edurnes Äußerungen zum Everest-Jubiläum könnt ihr auch auf den beiden Pinnwänden auf der rechten Seite des Blogs anhören.

Datum

18. Februar 2013 | 17:18

Teilen