Den Gipfel schon gespürt
„Wer Geduld sagt, sagt Mut, Ausdauer, Kraft“, hat einmal Marie Freifrau von Ebner-Eschenbach geschrieben. Die österreichische Schriftstellerin, die von 1830 bis 1913 lebte, meinte das natürlich allgemein. Doch sie hat damit ziemlich genau jene Zutaten beschrieben, die nötig sind, um einen Achttausender wie den Nanga Parbat im Winter zu besteigen. Nach mehr als zwei Dutzend erfolglosen Winterexpeditionen belagern auch in diesem Jahr wieder mutige, ausdauernde und starke Bergsteiger den neunthöchsten Berg der Erde. Am erfolgversprechendsten erscheint derzeit der Versuch der Russen Nickolay Totmjanin, Valery Shamalo, Serguey Kondrashkin und Victor Koval auf der Rupalseite, der Südseite des Nanga Parbat. Sie haben sich immerhin schon bis auf eine Höhe von 7150 Metern hinaufgearbeitet. „Die Route ist ungefähr acht Kilometer lang. Wir haben bereits 700 Meter Fixseile über sehr hartes Wintereis gelegt“, twittern die vier Bergsteiger aus St. Petersburg. Jenes Eis träfen sie fast durchgängig oberhalb von 6000 Metern an. Das gefährliche Blankeis war im vergangenen Jahr auch einer der Gründe, warum der Pole Tomek Mackiewicz und der Deutsche David Göttler auf dieser Route auf 7200 Metern umgekehrt waren.
Kurz: Zu riskant
In diesem Jahr war Tomek auf die Nordflanke des Bergs gewechselt, weil er sich dort mehr Erfolg versprach. Sein Gipfelversuch mit der Französin Elisabeth Revol auf der Diamir-Seite endete – wie berichtet – auf 7800 Metern. Noch 50 Meter höher kam bisher im Winter nur der Pole Zbigniew Trzmiel bei seinem gescheiterten Versuch 1997. „Wir hatten keine Chance, den Gipfel zu erreichen“, sagte Mackiewicz. „Zu kalt, zu windig, das Wetter zu unvorhersehbar – kurz zu riskant“, fasste Revol jetzt nach der Rückkehr nach Frankreich die Gründe zusammen, warum die beiden gut 300 Meter unterhalb des Gipfels umdrehten. „Ich konnte den Gipfel fast schon mit meinen Fingern ‚spüren‘. Er war so nahe. Mein Herz schlug schneller, aber wir mussten abgeklärt bleiben. Es war frustrierend, nicht gerade leicht umzudrehen, besonders wenn du siehst, wie weit du schon gekommen bist.“ Beim Abstieg brach eine Schneebrücke unter Tomek, der Pole stürzte 50 Meter tief in eine Gletscherspalte. Mackiewicz hatte Glück. Er überlebte mit Oberschenkel- und Rippenverletzungen und konnte sich mit Elisabeths Hilfe aus der Spalte befreien. Für Mackiewicz und Revol war die Expedition damit beendet. Beide reisten ab. Auf der Diamir-Seite verblieb der Italiener Daniele Nardi. Zu ihm gesellen sich jetzt ein iranisches Team sowie der Baske Alex Txikon, der im Team mit zwei pakistanischen Bergsteigern versuchen will, den Nanga Parbat erstmals im Winter zu besteigen. Ob Mut, Ausdauer und Kraft reichen? Bisher hat der Berg selbst die geduldigsten Winterkandidaten in Schach gehalten.