f (Expeditionsleiter) = Autorität + offenes Ohr
Schmusebär oder Diktator. Zwischen diesen Extremen bewegen sich Expeditionsleiter. Immer auf der Suche nach dem „Goldenen Weg“, der maximalen Erfolg garantiert. Wie viel Diskussion ist nützlich, wie viel „Basta!“ nötig? In den USA haben jetzt Wissenschaftler eine interessante Studie über den Einfluss von Hierarchie auf den Ausgang von Expeditionen veröffentlicht. Sie befragten Bergsteiger aus 27 Staaten und werteten die Daten von insgesamt 5104 Himalaya-Expeditionen zwischen 1905 und 2012 aus. Ihr Ergebnis: „Hierarchie führte im Himalaya nach oben, tötete aber auch: Expeditionen aus eher hierarchischen Ländern brachten mehr Teilnehmer auf den Gipfel, gleichzeitig starben dabei auch mehr Bergsteiger.“ Einerseits könne also eine starke Führung ohne Dauerdiskussionen eine Atmosphäre schaffen, in der die Teilnehmer entschlossener seien, den Gipfel zu erreichen. Andererseits erhöhe sich unter Umständen das Risiko für die Gruppe, weil die in der Rangordnung unten stehenden Bergsteiger ihre Zweifel für sich behielten. Wie aber soll nun ein Expeditionsleiter den richtigen Mittelweg finden? Ich habe bei den Machern der Studie nachgefragt.
Alles auf den Tisch
„Eine starke Führung wird im Bergsteigen immer wichtig sein, weil es so entscheidend ist, die ganze Gruppe gut aufeinander abzustimmen“, antwortet Eric Anicich von der Columbia Business School in New York. Es komme jedoch gleichzeitig darauf an, ein Umfeld zu schaffen, in dem alle Bergsteiger, auch jene weiter unter in der Hierarchie, ihre Bedenken frei äußern könnten. „Ein Weg für die Expeditionsleiter, dies zu erreichen, besteht darin, schon vor dem Aufbruch für ein Gruppenklima zu sorgen, in dem sich die Mitglieder sicher fühlen.“ Während der Expedition sollten die Leiter dann ihre Bergsteiger ausdrücklich ermutigen, das Wort zu ergreifen, wenn sie Informationen hätten, die für die anderen relevant seien. „Wirksame Führung erfordert, alle wichtigen Informationen auf den Tisch zu bekommen, um optimal begründete Entscheidungen treffen zu können.“ Sprich: Autorität gepaart mit einem offenen Ohr erhöht die Gipfelchance.
Schmaler Grat
Ich hatte die Wissenschaftler auch gefragt, ob sie zwischen kommerziellen Expeditionen mit den dort üblichen Leistungsschwankungen und solchen Gruppen unterschieden hätten, zu denen sich gleich starke Bergsteiger zusammenschlossen. Meine Vermutung: Bei kommerziellen Expeditionen dürften die beobachteten Effekte deutlicher ausgeprägt sein. „Ich stimme deiner Intuition zu“, sagt Eric Anicich. Allerdings hätten er und die anderen beteiligten Wissenschaftler dies mit ihrer Studie nicht belegen können, da ihnen verlässliche Daten über die kommerziellen Expeditionen gefehlt hätten. „Möglicherweise spielt Hierarchie dort eine größere Rolle, weil sich die Kletterer in der Regel vorher nicht kennen. Dann braucht es einen starken Expeditionsleiter, um die Bemühungen der Gruppe zu koordinieren“, glaubt Eric. „Gleichzeitig haben die Kletterer bei kommerziellen Expeditionen aber vielleicht auch zu viel Respekt vor ihrem Leiter. Das könnte sie davon abhalten, den Mund aufzumachen und über ihre Ängste und Sorgen zu sprechen.“ Ein schmaler Grat. Gar nicht so leicht, ein guter Expeditionsleiter zu sein.