Steck: „Grundsätzlich traue ich es Kilian zu“
Ambitioniert oder überdreht? Die Bergsteiger-Szene diskutiert über das bevorstehende Everest-Projekt des Spaniers Kilian Jornet. Der 28 Jahre alte Katalane will – wie berichtet – am Sonntag nach Tibet aufbrechen, um im Rahmen seines Projekts „Summits of my life“ den höchsten Berg der Erde von der Nordseite aus zu besteigen, besser gesagt hinaufzurennen. Der Plan hört sich verrückt an: Wenn möglich in einem Zug vom Kloster Rongbuk zum 8850 Meter hohen Gipfel; ohne Flaschensauerstoff und Sherpa-Unterstützung; wenn es die Verhältnisse am Berg zulassen, über eine selten begangene Route (Norton- oder Hornbein-Couloir); und als würde das alles noch nicht reichen, im Monsun. Natürlich weckt das Erinnerungen an Reinhold Messners legendäres Solo im Jahr 1980. Doch Jornet wird nicht alleine unterwegs sein. Und er ist auch ein komplett anderer Typ Bergsteiger als einst der Südtiroler.
Hart trainiert
Jornets Stärke liegt nicht in der Klettertechnik, sondern vor allem in Ausdauer und Geschwindigkeit. Als Skibergsteiger, Trailrunner und Skyrunner stellte Kilian zahlreiche Rekorde auf – unter anderem am Aconcagua, dem mit 6962 Meter höchsten Berg Südamerikas. Doch der Everest ist noch einmal 1888 Meter höher, und der Spanier war noch niemals zuvor über 8000 Metern. Er habe für das Projekt im Himalaya hart trainiert, schreibt Jornet auf Facebook: „In diesem Jahr habe ich eine Menge alpines Bergsteigen gemacht. Und während der letzten Monate habe ich versucht, mich möglichst oft in großer Höhe aufzuhalten, von den Alpen bis zu den Bergen Colorados.“
Gemeinsam durch die Eiger-Nordwand
„Ich kenne Kilian ein bisschen“, schreibt mir Ueli Steck, den ich gebeten habe, Jornets Chancen am Everest einzuschätzen: „Er ist extrem fit und stark. Und er ist realistisch. Er weiß, worauf er sich einlässt.“ Die Wege des Schweizer Topbergsteiger und des spanischen Skyrunners kreuzten sich im Herbst 2015 im Himalaya. Steck wartete – wie sich später herausstellen sollte, vergeblich – auf bessere Verhältnisse am 7804 Meter hohen Nuptse East, um die extrem schwierige Route über den Südostpfeiler erstmals im Alpinstil zu klettern. Jornet war zu dieser Zeit ebenfalls im Khumbu unterwegs. Die beiden liefen und kletterten ein wenig gemeinsam. Nach der Rückkehr aus Nepal trafen sich Ueli und Kilian in der Schweiz, um die Eiger-Nordwand zu durchsteigen, Steck voraus, Jornet hinterher.
Späte Liebe zum Berglauf
Im Gegensatz zum Spanier hat Ueli das Berglaufen eher spät für sich entdeckt, seitdem aber ist er Feuer und Flamme für diesen Bergsport. Während der Akklimatisierungs-Phase im Khumbu für seine Shishapangma-Südwand-Expedition im vergangenen Frühjahr spulte Steck – gemeinsam mit seinem Kletterpartner David Göttler – viele Kilometer in großer Höhe ab. Mitte Juli lief der 39-Jährige dann erstmals eine Bergstrecke von über 100 Kilometern: Beim Eiger Ultra Trail (101 km, 6700 Höhenmeter) belegte Ueli einen beachtlichen 26. Rang.
„Wenn nötig, mehrmals probieren“
„Es ist klar, bei einem solchen Projekt braucht man gute Bedingungen und auch etwas Glück“, sagt Steck zu Jornets Everest-Vorhaben. „Wenn du solche ambitionierte Projekte versuchst, ist die Chance zu scheitern deutlich höher, als wenn du auf der Normalroute mit Sauerstoff aufsteigst.“ Ein Erfolg des Spaniers am Everest sei aber durchaus möglich. „Grundsätzlich traue ich es Kilian zu“, schreibt Ueli. „Er muss es jetzt einfach mal probieren, und wenn es nicht klappt, halt nächstes Jahr noch einmal. So realistisch ist Kilian, das weiß ich.”