Tino Villanueva: Vier Fragen, vier Antworten
Besser spät als nie. Irgendwie kam immer irgendetwas dazwischen, sodass ich nicht die Zeit fand, über eine der beeindruckendsten Leistungen im vergangenen Herbst zu berichten. Tino Villanueva und Alan Rousseau gelang im indischen Himalaya Anfang Oktober im Alpinstil die Erstbesteigung des Sechstausenders Rungofarka. Die beiden Bergführer aus den USA kletterten zunächst auf direkter Linie durch die Nordwand, brachen ihren Versuch jedoch auf 6000 Metern ab. Schließlich erreichten sie in fünf Tagen über den Nordgrat den Gipfel des formschönen Bergs. Jetzt endlich habe ich Kontakt mit Tino aufgenommen, und er hat meine Fragen beantwortet:
Zunächst einmal herzlichen Glückwunsch zu eurer großartigen Leistung. Ihr habt die Erstbegehung des 6.495 Meter hohen Rungofarka geschafft. Wie weit an eure Grenzen musstest ihr gehen?
Danke, dass du unseren Aufstieg verfolgt hast! Die Route auf den Rungofarka war lang und durchgehend anstrengend. Als wir erst einmal losgeklettert waren, hat die Herausforderung eigentlich nie nachgelassen. Am ersten Tag auf der Route war das Terrain noch ziemlich moderat, 250 Meter hinauf bis zu einer geriffelten Eisfläche. Danach wurde die Mixed-Kletterei jedoch viel schwieriger, meist waren wir auf Felsen unterwegs. Auch wenn wir nicht an unsere Grenzen gehen mussten, war es anspruchsvolles, schwieriges Klettern in großer Höhe, in einem entlegenen Gebiet. Aber es war machbar.
Ihr musstet euren Versuch aufgeben, durch die Nordwand zu klettern und seid zum Nordgrat gewechselt. Fühlte es sich wie die zweitbeste Wahl an oder einfach die bessere?
Wann immer wir auf solche Expeditionen gehen, haben wir mehrere Optionen im Kopf. Wir haben einen bevorzugten Weg vor Augen, denken aber, dass es wichtig ist, Spielraum für Optionen zu haben, wenn die Bedingungen oder die Gefahren gegen uns arbeiten oder wenn die geplante Route nicht möglich ist. Im Falle des Rungofarka hatten wir im Vorfeld über einige Routen durch die Nordwand und ebenso über den Nordgrat diskutiert. Eine der Nordwand-Routen sah jedoch nicht so aus, als wäre sie in gutem Zustand. Außerdem schien sie stärker von einer darüber hängenden Eisklippe bedroht und war kurz davor auch von Eisschlag getroffen worden. Die Route, die wir in der Nordwand versuchten, schien dem Eisschlag weniger ausgesetzt zu sein. Wir dachten, dass die Nordwand eine elegantere Linie zum Gipfel böte und waren uns auch nicht sicher, ob eine senkrechte Stufe am Nordgrat überhaupt kletterbar wäre. Im Nachhinein, nach der Erfahrung in der Wand und auf dem Grat, würde ich sagen, dass der Nordgrat eine sehr elegante und qualitativ hochwertige alpine Kletterroute bot und die bessere Option war.
Wie ordnest du diese Erstbesteigung im indischen Himalaya in deiner persönlichen Kletter-Vita ein?
Der Nordgrat des Rungofarka hat definitiv die höchste Punktzahl in meinem persönlichen Kletter-Lebenslauf. Es war einer dieser Anstiege, bei denen alles perfekt funktioniert. Das Wetter war spektakulär (abgesehen von ein wenig Schnee am zweiten Tag), wir fanden zwei tolle Biwakplätze (und einen, der grenzwertig, aber immer noch geeignet war). Das Terrain war so herausfordernd, dass wir uns fragten, ob wir überhaupt in der Lage wären, hindurch zu klettern. Und das Klettern war anspruchsvoll genug, um uns auch mental sehr in Anspruch zu nehmen.
Ihr arbeitet beide als Bergführer für den Expeditionsveranstalter Mountain Madness. Wie war es für euch, „auf eigene Faust“ zu klettern?
Alan und ich sind schon häufig zusammen geklettert. Diese Reise nach Indien war unsere dritte große Expedition im Himalaya. Wenn wir Expeditionen leiten, sind wir bestrebt, unseren Kunden eine unterhaltsame und herausfordernde Erfahrung zu bieten und gleichzeitig eine hohen Sicherheitsstandard zu gewährleisten. Unsere eigenen Expeditionen sind ähnlich, nur dass wir die Parameter an unsere persönlichen Kletterfähigkeiten anpassen. Wir sind in der Lage, schneller und härter zu klettern und können uns damit auch in schwierigerem Gelände bewegen. Dennoch bin ich mir sicher, dass die Expeditionserfahrung ähnlich ist, gleichzeitig aufregend und furchteinflößend, spaßig und haarsträubend. Das einzige Wort, das die Erfahrung umfassend beschreibt, ist: herausfordernd. Wir lassen uns auf alpine Kletterexpeditionen ein, um uns körperlich und geistig herauszufordern und zu sehen, was wir in den großen Bergen der Welt erreichen können.