Ralf Dujmovits: „Everest ad acta gelegt“
Eine gemeinsame Woche Nepal liegt hinter Ralf Dujmovits und mir. Wie berichtet, weihten wir in Thulosirubari, einem kleinen Bergdorf rund 70 Kilometer östlich von Kathmandu, die ersten beiden Gebäudeteile der neuen Schule ein, die dank unseres Hilfsprojekts „School up!“ gebaut werden konnten. Und wir legten den Grundstein für die zweite Bauphase. In Kathmandu führte ich einige Interviews – die mit den Expeditionsveranstaltern Arnold Coster und Mingma Gyalje Sherpa konntet ihr schon lesen, weitere folgen in Kürze. Ralf nutzte die Zeit, um alte Bekannte zu treffen und einige seiner Lieblingsorte in der Hauptstadt zu besuchen. Der 56-Jährige ist nach wie vor der einzige deutsche Bergsteiger, der alle 14 Achttausender bestiegen hat. Lediglich am Mount Everest griff er im Herbst 1992 zu Flaschensauerstoff. Siebenmal versuchte er hinterher, auch den höchsten Berg der Erde ohne Atemmaske zu besteigen, siebenmal scheiterte er – zuletzt im Frühjahr 2017 auf 8580 Metern auf der tibetischen Nordseite des Bergs.
Ralf, wir sind jetzt hier in Kathmandu, nicht weit weg vom Mount Everest, etwa 160 Kilometer Luftlinie. Juckt es dich da nicht doch ein bisschen?
Nein, im Moment gar nicht. Ich habe für mich diese Geschichte abgeschlossen. Ich beschäftige mich natürlich noch mit dem, was am Everest vor sich geht. Das ist nach wie vor sehr spannend. Aber für mich selbst habe ich die Sache ad acta gelegt.
Dujmovits: Habe Everest ad acta gelegt
Du hast das Geschehen am Everest über Jahrzehnte verfolgt und auch miterlebt. Wie beurteilst du die Entwicklung der letzten Jahre?
Es scheint so, als kämen immer noch mehr Leute zum Everest. Ich hatte nach dem schweren Lawinenunglück 2014 im Khumbu-Eisbruch mit 16 Toten eigentlich erwartet, dass sich die Zahl reduziert. Dass die Leute die Gefahren vor allem auf der Südseite sehen, vor allem jene, dass es immer mehr Bergsteiger gibt, die sich dort oben gewissermaßen zu Tode stauen. Aber anscheinend passiert das Gegenteil. Die Agenturen sprechen von guten Buchungszahlen. Vor allem die nepalischen Agenturen sind sehr aktiv. Ich glaube, es gibt eher mehr Betrieb als jemals zuvor.
Hat das noch etwas mit Bergsteigen zu tun, was am Everest abgeht?
Das Bergsteigen bleibt natürlich etwas auf der Strecke, wenn so viele gleichzeitig an den Fixseilen nach oben zu steigen versuchen. Jeder sieht Bergsteigen anders. Es mag sein, dass der eine oder andere auch den Aufstieg mit 30 oder 40 anderen innerhalb von 50 Metern Fixseil als spannend empfindet. Meine Art wäre es nicht. Aber ich glaube, das muss man jedem selbst überlassen. Und solange die Regularien, die Zahl der Bergsteiger einzuschränken, nicht wirklich greifen, sogar eigentlich überhaupt nicht vorhanden sind, wird sich die Situation auch nicht ändern.
Dujmovits: Meine Art wäre es nicht
Die Diskussion darüber wird seit Jahren geführt, um nicht zu sagen seit Jahrzehnten. Glaubst du, dass es jemals Regeln gibt, die dafür sorgen werden, dass am Everest weniger los ist?
Ich bin sehr skeptisch, weil die Regierung Nepals das Problem zu wenig ernst nimmt. Es geht vor allem ums Geld. Die Regeln, die zuletzt aufkamen, dass man versuchte, Menschen mit Behinderung auszuschließen, waren zum einen völlig daneben. Zum anderen musste die Regierung diese Regelung später zurücknehmen. Das war wirklich kein Weg, eine Lösung zu finden. Ich glaube, es geht nur darüber, genau nachzufragen und es sich auch belegen lassen, ob die Leute schon auf einem Siebentausender oder möglichst sogar auf einem anderen Achttausender waren, bevor sie zum Everest kommen. Ich denke, nur darüber ließe sich die Zahl reduzieren. Solange aber einige nepalische Agenturen jeden mitnehmen, der das nötige Kleingeld hat, wird sich die Situation nicht ändern.
Es fällt auf, dass in den letzten Jahren die Kangchung-Seite des Everest, also die Ostflanke des Bergs, total verwaist war, und dass auch die Versuche in der Nord- oder der Südwestwand an einer Hand abzuzählen waren. Man hat fast das Gefühl, als würden die Topbergsteiger einen Bogen um den Everest machen.
Es ist fast schon verpönt, am Everest als so genannter „richtiger“ Bergsteiger unterwegs zu sein. Die eher moderneren Ziele sind unbestiegene, schwierige Sechstausender und anspruchsvolle Routen an Siebentausendern. In Pakistan gibt es noch zehn unbestiegene Siebentausender. Ich glaube, dort werden auch die jüngeren, ambitionierten Bergsteiger ihre Ziele finden.
Kann man am Everest überhaupt von einer garantierten Sicherheit sprechen, wenn so viele Menschen auf einer Route aufsteigen, selbst wenn man dort zwei parallele Spuren legt?
Eine garantierte Sicherheit gab es noch nie. Aber auch das, was in den Prospekten als „99 Prozent Sicherheit“ verkauft wird, haut nicht hin, wenn so viele Leute gleichzeitig unterwegs sind. Es gibt einige Engpässe am Everest, z.B. das „Gelbe Band“ (auf 7500 Metern unterhalb des Südsattels) oder der ausgesetzte Gipfelgrat. Dort werden sich auch weiterhin Staus bilden. Diese bleiben eine große Gefahr bei Wetterumstürzen, die nie auszuschließen sind.
Dujmovits: Staus bleiben große Gefahr
Denkst du, dass viele auch aus Sicherheitsgründen auf die Nordseite des Everest wechseln?
Die Tendenz, dass es auf der tibetischen Nordseite voller wird, ist abzusehen. Einige große Veranstalter sind dorthin gewechselt. Kari Kobler ist schon lange drüben und macht dort wirklich eine sehr gute Arbeit. Die Chinesen nehmen ihren Job sehr ernst, sowohl als Organisator des Basislagers als auch hinsichtlich der Infrastruktur am Berg. Auf der Nordseite werden auch die Regularien ernster genommen. Es geht nicht nur ums Geld, sondern auch um die Sicherheit der Bergsteiger. Von daher kann ich den Leuten aktuell nur raten: Geht auf die Nordseite!