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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Oh oben

Nein, ich stottere nicht. Und die Überschrift ist auch nicht Ausdruck meiner Verwunderung. Vor wenigen Minuten wurde es gemeldet: Die Südkoreanerin Oh Eun-Sun hat es tatsächlich geschafft, als erste Frau alle 14 Achttausender zu besteigen. Die 44-Jährige steckte eine südkoreanische Fahne in den Schnee auf dem Gipfel der 8091 Meter hohen Annapurna in Nepal, des letzten Achttausenders, der ihr noch in der Sammlung fehlte.


Bergsteigen live als „Straßenfeger“ in Südkorea

Sieben Träger

Meine Begeisterung hält sich in Grenzen. Der saubere Stil am Berg wurde dem nationalen Prestige geopfert. Auch an der Annapurna überließ Miss Oh nichts dem Zufall. Die Koreanerin war mit sieben (!) Sherpas unterwegs. Einige mussten sicher die schwere Ausrüstung der beiden Kameraleute tragen, die den Gipfelgang live in die Wohnzimmer Südkoreas übertrugen. Doch auch Oh selbst dürfte bei ihrem Aufstieg wohl kaum schwer getragen haben. Das „Wettrennen“ um die Achttausender-Krone der Frauen ist also entschieden. Die Europäerinnen Edurne Pasabán, die bisher 13 Achttausender bestiegen hat, Gerlinde Kaltenbrunner (12) und Nives Meroi (11) haben das Nachsehen. Doch wie an dieser Stelle schon häufiger beschrieben, lassen sich die Leistungen der Bergsteigerinnen meiner Meinung nach kaum vergleichen. Die Österreicherin Gerlinde Kaltenbrunner etwa hat ihre Achttausender – im Gegensatz zu Oh Eun-Sun – stets im kleinen Team, ohne Sherpas und unter Verzicht auf Flaschen-Sauerstoff bestiegen. Diese sportliche Leistung ist deutlich höher zu bewerten.


Gerlinde bei einer Akklimatisierungstour für ihre Everest-Nordwand-Expedition

Neue Zweifel

Edurne Pasabán hat derweil neue Diskussionen um Ohs Besteigung des Kangchendzönga, des dritthöchsten Bergs der Erde, ausgelöst. Die Baskin bereitet sich zurzeit in Tibet auf die Besteigung ihres 14. Achttausenders vor, der Shishapangma. Pasabán sagte einem spanischen Journalisten, ein Sherpa, der 2009 mit Oh unterwegs war, habe ihr anvertraut, dass die Koreanerin den höchsten Punkte gar nicht erreicht habe. Die Replik aus Südkorea kam prompt. Pasabán wolle Oh nur den Triumph streitig machen. 2008, als die Spanierin selbst am „Kantsch“ gewesen sei, habe sie noch Ohs Gipfelerfolg bestätigt. Die höchste Instanz in solchen Streitfragen, Elizabeth Hawley, scheint unsicher geworden zu sein. Die 86 Jahre alte US-Journalistin dokumentiert in der nepalesischen Hauptstadt Kathmandu seit fast einem halben Jahrhundert das Bergsteigen im Himalaya und überprüft die Angaben der Kletterer. Erst wenn Miss Hawley sagt, jemand sei oben gewesen, akzeptiert die Szene den Gipfelerfolg. Die alte Dame erklärte nun, sie werde Ohs Besteigung des Kangchendzönga künftig in ihrer Chronik als „umstritten“ aufführen. In Südkorea wird dies im Freudentaumel über Ohs Erfolg wahrscheinlich nicht einmal als Fußnote registriert.

Datum

27. April 2010 | 9:43

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