Sekundenschlaf
Bergsteiger sind Reisende, Extrembergsteiger Dauerpendler. In der Expeditionssaison sehen sie ihr Zuhause nur auf der Durchreise. Gerlinde Kaltenbrunner und Ralf Dujmovits sind eben erst vom Mount Everest zurückgekehrt, da wartet am 20. Juni bereits der nächste Trip zum zweithöchsten Berg der Erde, dem K 2 in Pakistan. Der Terminkalender für die Sandwich-Tage zwischen den beiden Expeditionen quillt über: Interviews geben, Sponsorentermine wahrnehmen, organisieren, packen.
Gerlinde und Ralf am Frankfurter Flughafen
Ich freue mich, dass sich die beiden Zeit nehmen, um mir von ihren Erlebnissen am Everest zu erzählen. Wir treffen uns am Frankfurter Flughafen, vor ihrem Abflug zu einer Sponsor-Veranstaltung auf Island. Beide wirken topfit, die Strapazen ihrer Expedition zum höchsten Berg der Erde sieht man ihnen nicht an. „Viel Zeit auszuspannen, hatten wir aber bisher nicht“, sagt Ralf.
Quälendes Warten
Der 48-Jährige hat sein Ziel, auch noch den Mount Everest ohne Atemmaske zu besteigen, im letzten Lager auf 8300 Metern aufgeben müssen. Er habe ständig Hustenreiz verspürt, den Schleim aber nicht richtig abhusten können, so Ralf, und dann habe er sich auch noch übergeben müssen. Zudem sei ihm beim Frühstück zweimal die Teetasse aus der Hand gefallen. „Sekundenschlaf ist ja schon auf der Autobahn recht gefährlich, damit aber am Everest aufzusteigen, war einfach nicht zu verantworten.“
Frühstück auf 8300 Metern, Ralf sieht schlecht aus
Gerlinde zog alleine los Richtung Gipfel. Für Ralf begann eine „ganz harte“ Zeit, ein Tag, der gefühlt kein Ende nehmen wollte. Er begann zu grübeln. War es richtig zurückzubleiben? Wird Gerlinde von dieser ungewissen Reise wieder zurückkehren? Zweimal verließ Ralf das Zelt, weil er seine Frau zu erkennen glaubte. Doch beide Male waren es andere Bergsteiger, die zurückkehrten. „Ich war furchtbar angespannt“, räumt Ralf ein. Er konnte ja nicht ahnen, dass Gerlinde sich noch um einen höhenkranken Japaner kümmerte und der Abstieg deshalb länger dauerte als geplant. „Umso größer war die Wiedersehensfreude, als sie endlich da war.“
Prinzipiell darf jeder
Mit dem Mount Everest hat Ralf noch nicht abgeschlossen. 13 seiner 14 Achttausender hat er ohne Flaschensauerstoff bestiegen – alle bis auf den Everest, wo er 1992 auf der nepalesischen Seite am Südsattel auf 8000 Metern zur Atemmaske gegriffen hatte. Er wolle den höchsten Berg der Erde unbedingt noch „by fair means“, also mit fairen Mitteln besteigen, sagt Ralf. „Momentan habe ich noch das Gefühl, dass ich es körperlich leisten könnte.“ Voraussichtlich in zwei Jahren will er einen weiteren Versuch starten.
Mit dem kommerziellen Bergsteigen am Mount Everest hat der erfolgreichste deutsche Höhenbergsteiger kein Problem. In diesem Jahr seien auf der tibetischen Normalroute deutlich weniger Bergsteiger unterwegs gewesen als noch 2005. „Ich gönne es jedem, auf den Gipfel zu kommen, auch mit Sauerstoff. Wenn er niemanden gefährdet und keinen Müll hinterlässt, hat prinzipiell jeder das Recht, dort unterwegs zu sein.“
Abendstimmung am Mount Everest
Nicht ausgegoren
Auch ein 13-Jähriger wie in diesem Frühjahr der US-Boy Jordan Romero? Ralf hat ihn getroffen. Romero sei für sein Alter schon ziemlich weit entwickelt, und er habe offenbar wirklich den inneren Wunsch gehabt, den Gipfel zu erreichen. Im Umgang mit den Medien habe der Junge jedoch immer die gleichen Phrasen gedroschen. „Da ist mir klar geworden, dass die mentale Seite einer Everest-Besteigung bei ihm noch nicht so ausgegoren war wie es bei den meisten Erwachsenen der Fall ist.“ Auch an Ralf, der über seine Agentur in Bühl Expeditionen organisiert, sind übrigens schon Eltern herangetreten, die ihre Kinder auf einen Achttausender bringen wollten. Ralf glaubt daher, dass es in Zukunft sicher auch noch jüngere Bergsteiger als Romero zum Mount Everest ziehen wird. In Nepal gibt es bereits die Regelung, dass Everest-Anwärter mindestens 16 Jahre alt sein müssen. „Man wird sehen, ob auch die chinesischen Behörden dem Ganzen einen Riegel vorschieben“, sagt Ralf. „Oder ob sie sagen, jeder soll sich auf die Art umbringen, wie er mag“.
Reißleine
Offenbar ist auch China inzwischen das Treiben am höchsten Berg der Erde zu bunt geworden. Die China Tibet Mountaineering Associaton, die für die Expeditionen in Tibet zuständig ist, kündigte an, die Reißleine zu ziehen. Schon in der Nach-Monsun-Zeit im Herbst werde es „zur Sicherheit der Bergsteiger“ eine Altersgrenze geben. Nach Pressemeldungen müssen die Kletterer auf der Nordseite des Mount Everest dann mindestens 18 Jahre alt und jünger als 60 sein. Damit würde China noch einen Schritt weiter als Nepal gehen. Dort gibt es nämlich kein Senioren-Verbot für den Everest. 2009 erreichte ein 76-Jähriger den 8850 Meter hohen Gipfel.
Interview mit Ralf Dujmovits nach der Everest-Expedition
P.S. Habt ihr euch gewundert, dass nur Ralf zu Wort gekommen ist? Geduld. Ein Gespräch mit Gerlinde folgt.