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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Nicht sonderlich berührt

Unter Sprintern gilt: Der Zweite ist der erste Verlierer. Doch bei einem 100-Meter-Lauf würde niemals zugelassen, dass ein Athlet von Helfern ins Ziel geführt wird oder dass er sich eine Atemmaske umhängt, um mehr Sauerstoff schnaufen zu können. Insofern war der sogenannte „Wettlauf“ um die Krone der ersten Frau, die alle 14 Achttausender bestiegen hat, kein Wettbewerb im klassischen sportlichen Sinn. Die Koreanerin Oh Eun Sun, die als Erste das Ziel erreichte, war stets mit großen Teams und Hochträgern unterwegs und benutzte bei mehreren Aufstiegen auch Flaschen-Sauerstoff. Der Stil Edurne Pasabans, die als Zweite den Zielstrich überquerte, war sauberer, aber nicht makellos. Auch die Spanierin war mit großen Mannschaften unterwegs, zweimal griff sie beim Abstieg zur Atemmaske.


Gerlinde, nach dem Mount Everest, vor dem K 2

Im Nachhinein froh

Die Dritte im Bunde, Gerlinde Kaltenbrunner, hat das Ziel noch vor Augen. Mit dem Mount Everest bestieg sie am 24. Mai ihren 13. Achttausender. Stets verzichtete sie auf Flaschensauerstoff und Hochträger. „Wir hatten auch am Everest unser Gepäck bis hoch auf 8300 Meter selbst auf dem Rücken.“ Das Mediengetöse um den Erfolg Oh Eun Suns war so groß, dass es auch Gerlinde am Everest mitbekam. „Es hat mich nicht sonderlich berührt. Ich weiß ja, wie sie unterwegs ist“, sagt die 39-Jährige bei unserem Treffen am Frankfurter Flughafen. „Ich habe mir gedacht, jetzt ist es endlich vorbei.“ Längst war die Österreicherin die ewigen Fragen nach dem Dreikampf um die Achttausender-Krone leid. „Für mich war es ja nie ein Wettrennen. Ich habe mich nie vorantreiben lassen. Die Sicherheit ging immer vor.“
Auch am Mount Everest. Nach langen Diskussionen mit ihrem Mann Ralf Dujmovits verzichtete sie schweren Herzens auf den ursprünglichen Plan, die Nordwand zu durchsteigen. Bei ihren Erkundungstouren hätten sie einsehen müssen, dass es schlicht zu gefährlich gewesen wäre, erklärt Gerlinde. „Im Nachhinein bin ich sehr froh darüber. Denn wir wären einfach nicht durchgekommen.“


Gerlinde am Gipfel des Mount Everest (mit einer Fahne der „Lebenshilfe Bühl“)

Am Gipfel gerechnet

Also wichen sie auf die tibetische Normalroute aus, auf der deutlich weniger Bergsteiger unterwegs waren wie in den Jahren zuvor. „Man hört ja immer, dass es am Gipfeltag Staus gibt, dass man sich am First, Second und Third Step (den drei Felsstufen auf dem Nordgrat) anstellen muss. Das haben wir nicht gehabt“, erzählt Gerlinde. Das Wetter sei „bescheiden“ gewesen: Schneefall, schlechte Sicht, dafür aber wenig Wind und mit minus 22 Grad eine erträgliche Kälte.
Noch nie war Gerlinde so hoch unterwegs. Sie habe kein zu großes Risiko eingehen wollen und habe deshalb ganz genau in sich hineingehorcht. „Zwischen 8700 und 8850 Metern hat mein Körper, vor allem Herz und Lunge, ziemlich am Anschlag gearbeitet. Ich habe ganz schön schnell schnaufen müssen.“ Insgesamt aber sei es ihr sehr gut gegangen. Sie habe „enorm viel“ getrunken.
Dann stand Gerlinde endlich auf dem Gipfel des Mount Everest, dem Dach der Welt, für sie ein „einmaliges Erlebnis, am allerhöchsten Punkt angekommen zu sein.“ Und doch blieb eine Spur von Unsicherheit. „Am Gipfel habe ich einfache Rechnungen gelöst“, sagt Gerlinde. „Ich habe überprüft, ob mein Hirn noch gut funktioniert. Das hat alles gut gepasst.“


Beim Abstieg vom Gipfel riss es auf

Wenn alles passt

Jetzt weiß sie, dass sie auch am K 2, dem mit 8611 Metern zweithöchsten Berg der Erde, ohne Atemmaske zurechtkommen wird. Zweimal musste sie dort umkehren, 2007 auf 8100 Metern, 2009 auf 8300 Metern. Ihren Optimismus hat Gerlinde deswegen aber nicht verloren: „Ich hoffe wirklich, dass es jetzt im dritten Anlauf klappen wir. Ich fühle mich körperlich und auch von der Psyche her topfit. Wenn alles passt und wenn mir das Wetter gut gesonnen ist, glaube ich, dass ich es schaffen kann.“ Und wenn die Lawinengefahr wieder zu groß sein sollte oder es aus anderen Gründen nicht passe, versuche sie es eben ein viertes Mal. „Doch daran will ich jetzt nicht denken.“ Am 20. Juni starten Gerlinde und Ralf Richtung Pakistan. Gerlinde ist hoch motiviert. Sie hat ihr Ziel fest im Auge, alle Achttausender in einem Stil zu besteigen, der ihrem Verständnis von Bergsteigen entspricht: eigenverantwortlich, mit fairen Mitteln. Wettläufe überlässt sie anderen.

Interview mit Gerlinde Kaltenbrunner nach der Everest-Expedition

Datum

14. Juni 2010 | 10:45

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