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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Auf dem Weg zum K 2 (Teil 3): Klagelied

Die Träger streikten. Das Wetter war ihnen zu schlecht, um wie geplant um sechs Uhr früh den Baltoro-Gletscher zu betreten. Es regnete Bindfäden. Zwei Träger ließen sich ausbezahlen und verabschiedeten sich ganz. „So etwas habe ich noch nicht erlebt“, sagte Sadakat Hussein, ein erfahrener Bergführer, den ich in Paiju traf. Bis zu 8000 Träger gleichzeitig waren in der Region unterwegs. Eigentlich hatte die Regierung die Höhe der Löhne festgeschrieben. Doch die Nachfrage war höher als das Angebot. Allein die große italienische K 2-Jubiläumsexpedition hatte 260 Träger engagiert. Einige Gruppen boten deutlich mehr Geld als allgemein üblich, um ihre Lasten zum Zielort transportieren zu lassen. Andere schauten deshalb in die Röhre.


Regen, Regen, Regen

Steinerne Autos fallen vom Berg

Die Verhandlungen mit unseren Trägern dauerten bis zum frühen Mittag. Dann endlich machten wir uns auf den Weg, zunächst durch die Seitenmoränen des Gletschers, bergauf, bergab, über große und kleine Felsbrocken, durch Geröll und Sand. Petrus ließ nach wie vor die Dusche von oben laufen. Allmählich drang die Feuchtigkeit nach innen durch.
Plötzlich erhob sich ein tiefes Grollen, das immer lauter und bedrohlicher wurde. Aus sicherer Entfernung beobachteten wir, wie Felsbrocken von einem Bergrücken auf den Gletscher zusprangen. Einige hatten die Größe von Autos. Das beeindruckende Naturschauspiel hinterließ ein mulmiges Gefühl. Sechs Stunden lang quälten wir uns durch das Geröll, ehe wir an einem Gletschersee, völlig durchnässt und auch entkräftet, unsere Zelte aufschlugen. Am nächsten Morgen war der Regen in Schnee übergegangen. Wir ließen uns Zeit, denn das nächste Ziel, das wir eigentlich schon am Vortag hatten erreichen wollen, lag nur zwei Stunden Fußmarsch entfernt.

Mustercamp

In dichtem Schneetreiben gelangen wir nach Urdukas, was in der Balti-Sprache „fallender Stein“ bedeutet. Auch dieses Camp auf 4000 Metern war – wie zuvor Jhola – als Musterplatz des UN-Entwicklungsprogramms angelegt worden, mit Toilettenhäuschen, Abfalleimern und Solarleuchten. Auch die Australierin Sue Fear, die ich in Urdukas traf, zeigte sich sehr beeindruckt: „Die hygienischen Verhältnisse sind jetzt praktikabel. Früher waren sie unerträglich.“ (Die Everest-Besteigerin verunglückte zwei Jahre später, im Mai 2006, im Gipfelbereich des Achttausenders Manaslu tödlich. Die 43-Jährige stürzte in eine Gletscherspalte.)
Die spektakuläre Aussicht aus meinem Zelt konnte ich nur kurz genießen. Einige Minuten lang riss die dichte Wolkendecke auf, und öffnete den Blick auf die über 6000 Meter hohen Granittürme der Trango-Gruppe, den Uli Biaho Tower(6109 m) und die „Kathedrale“ (5828 m).


Urdukas, der „fallende Stein“

Steine des Baltoro

Meine ersten Erfahrungen auf dem Baltoro-Gletscher verarbeitete ich in einem Klagelied:

Verfluchte Steine des Baltoro,
ihr tragt den Teufel in euch, ohne dass ihr es wisst.
Ihr lasst mich stolpern und rutschen,
zwingt mich zu springen und unsanft zu landen.
Ihr raubt mir den Atem, die Kraft, am Ende die Sinne.
Ihr saugt mich aus und fresst meine Seele.

Arme Steine des Baltoro,
eigentlich seid ihr nur Opfer,
von Regen und Schnee ins Gletschertal gespült,
vom ewigen Eis zermalmt,
unbarmherzig vorwärtsgeschoben.
Ihr habt keine andere Freude, als euch an mir zu rächen.


Schöne Steine des Baltoro,
sehe ich eure großen Brüder,
die riesigen Granitwände mit Schneehaube,
die Bergjuwele, die meinen Blick fesseln,
mich mit offenem Mund staunend dasitzen und die Zeit vergessen,
mich träumen und meine Gedanken reisen lassen,
dann kann ich euch verzeihen – fast.

Radio-Reportageserie (2004): Auf dem Weg zum K 2 (Teil 2)

Datum

24. Juni 2010 | 8:15

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