Hiro, der Stehauf-Mann
Ob er – wie Katzen sprichwörtlich – sieben Leben hat, weiß ich nicht. Drei aber hat Hiro sicher. Zweimal ist Hirotaka Takeuchi dem Tod nämlich bereits von der Schippe gesprungen. 2005 war ich nahe dabei. Ich berichtete in Tibet, vom Basislager auf dem Zentralen Rongbukgletscher aus, über den Versuch Gerlinde Kaltenbrunners, Ralf Dujmovits’ und ihres japanischen Freunds Hiro, die Nordwand des Mount Everest zu durchsteigen. Die Wetterverhältnisse ließen es nicht zu. Das Trio beschloss, zum Nordsattel und von dort aus über die tibetische Normalroute zum Gipfel auf 8850 Metern aufzusteigen. Wenige Wochen zuvor war den drei Bergsteigern die erste Überschreitung der 8027 Meter hohen Shishapangma gelungen: durch die Südwand hinauf, auf der Nordseite hinunter.
Ralf und Gerlinde bringen Hiro 2005 zurück ins Basislager
Jetzt am Everest starteten Gerlinde, Ralf und Hiro zu ihrem ersten Gipfelversuch. Auf etwa 7500 Metern kollabierte der Japaner, Folge eines Höhenhirnödems. Hiro hatte Warnsignale seines Körpers ignoriert. Nun rang er mit dem Tod. Gerlinde und Ralf gelang es, ihren Freund über die nächste Nacht und anschließend sicher ins Basislager zu bringen. Hiro hatte Glück, das Ödem hinterließ keine Spuren. Ein Jahr später war der Japaner wieder im Himalaya zurück. Mit Gerlinde und Ralf bestieg er den Achttausender Kangchendzönga.
Bärenkondition rettet ihm das Leben
2007 traf ich Hiro wieder: Er war Mitglied der von Ralf geführten kommerziellen Expedition zum Manaslu, die ich als Journalist begleitete. Hiro war in blendender Form. Gemeinsam mit Ralf und zwei Sherpas erledigte er die meiste Spurarbeit und gehörte zu den sieben Expeditionsmitgliedern, die den Gipfel erreichten.
Anschließend machte sich der Japaner auf den Weg nach Pakistan, um den Gasherbrum II zu besteigen. Auf 6700 Metern geriet Hiro in eine Lawine. Zwei Expeditionsmitglieder kamen ums Leben, Hiro wurde lebensgefährlich verletzt: ein Rückenwirbel und fünf Rippen brachen, ein Lungenflügel klappte zusammen. Andere Bergsteiger bargen den Japaner, der anschließend mit einem Hubschrauber in ein Militärkrankenhaus nach Skardu geflogen wurde. Wohl nur seine Bärenkondition rettete Hiro das Leben. Und er hatte auch in anderer Hinsicht Glück: Viel fehlte nicht, und er wäre zeitlebens gelähmt geblieben. Mehrere Monate verbrachte Hiro anschließend in Krankenhaus und Reha. Der gebrochene Wirbel wurde mit Titan verstärkt. Das Bergsteigen rückte zunächst in weite Ferne. Doch wieder kehrte Hiro schneller als erwartet zu den Achttausendern zurück. Bereits im Sommer 2008, nur ein Jahr nach dem Lawinen-Unglück, bestieg Hiro, gemeinsam mit dem Finnen Veikka Gustafsson, nicht nur den Gasherbrum II, sondern anschließend auch noch den Broad Peak.
Zum Kapitän gereift
Inzwischen hat der 39-Jährige zwölf der 14 Achttausender bestiegen. Nur der Cho Oyu und der Dhaulagiri fehlen noch in Hiros Sammlung. Damit ist der zweifache Vater bereits jetzt der erfolgreichste japanische Höhenbergsteiger aller Zeiten – und dazu ein äußerst sympathischer Mensch: Hiro macht nicht unbedingt viele Worte, hat aber einen ausgeprägten Sinn für Humor. Und er packt überall mit an, wo es bei einer Expedition Arbeit gibt.
Hiro im Basislager am Cho Oyu
Ein mannschaftsdienlicher Spieler, der inzwischen auch die Kapitänsbinde trägt: Als Expeditionsleiter versucht sich Hiro derzeit mit zwei Landsleuten am 8188 Meter hohen Cho Oyu. Hoffentlich endet die Expedition in Tibet für ihn erfolgreich, zumindest aber nicht so dramatisch wie jene 2005 am Everest oder 2007 am Gasherbrum II. Irgendwann sind nämlich auch die sieben Leben einer Katze aufgebraucht.