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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Unbesungene Helden

Die Familie des von einer Lawine am Baruntse verschütteten Sherpas Chhewang Nima hat die Hoffnung verloren. „Mein Bruder ist tot“, sagte Ang Nima, der in dem Lawinengebiet mit anderen Bergsteigern vergeblich nach Chhewang gesucht hatte.


Chhewang Nima Sherpa, 1967-2010

Der 43-Jährige aus dem Dorf Theso nahe Namche Bazaar, dem Hauptort des Gebietes rund um den Mount Everest, hinterlässt eine Frau und zwei Töchter. Ob Chhewang wirklich, wie es in fast allen Meldungen heißt, 19 Mal auf dem Gipfel des höchsten Bergs der Erde stand, ist unklar. Während in den Berichten von einer Doppelbesteigung im Frühjahr 2010 die Rede ist, taucht Chhewang in der offiziellen Everest-Gipfelliste des nepalesischen Tourismusministeriums nur einmal (24. Mai) auf. So oder so belegte er in der Rangliste der erfolgreichsten Everest-Besteiger Rang zwei hinter Apa Sherpa, der 20 Mal oben war.

Ohne Sherpas läuft am Everest kaum etwas

Dafür kann sich Chhewangs Familie nach seinem Tod allerdings nichts mehr kaufen. Nima gehörte zur Elite der „Climbing Sherpas“, die rund 5500 US-Dollar bei einer zwei Monate dauernden Everest-Expedition verdienen können. Zum Vergleich: Das jährliche Pro-Kopf-Einkommen in Nepal liegt nach Informationen des Auswärtigen Amts bei 470 Dollar.
Viele Sherpas haben es dank der zahlreichen kommerziellen Expeditionen zum Mount Everest zu bescheidenem Wohlstand gebracht. Ohne sie geht kaum etwas am höchsten Berg der Erde: Die „Ice-Doktors“ versichern den gefährlichen Khumbu-Eisbruch mit Leitern und Fixseilen, überprüfen die Route ständig und bessern sie wenn nötig aus. Sherpas legen auch die Hochlager an, schleppen die Lasten, verlegen Fixseile bis zum Gipfel – und leiten ihre zahlenden Kunden hinauf zum höchsten Punkt.


Sherpas am Mount Everest

Für Extraprämien riskieren sie ihr Leben

„Die sind so stark, einfach unglaublich“, schwärmte Ralf Dujmovits, der erfolgreichste deutsche Höhenbergsteiger, als wir bei einem Treffen in diesem Frühsommer über die Arbeit der Sherpas am Everest sprachen. „Die würden auch dich auf den Gipfel bringen.“
Das liegt in erster Linie am Prämiensystem, mit dem die Sherpas entlohnt werden. In der Regel beläuft sich das Grundsalär auf gut 2000 Dollar. Wer höher hinauf steigt, erhält je nach erreichtem Lager und getragener Last Bonuszahlungen, die bei Beginn der Expedition ausgehandelt werden. Erreicht ein Sherpa mit seinem Kunden den Gipfel, wird eine Extraprämie von etwa 500 Dollar fällig. Das Risiko ist hoch: Etwa jeder dritte der 219 Bergsteiger, die bisher am Everest ihr Leben verloren, war ein Sherpa.
In vielen Expeditionsberichten vom Mount Everest feiern sich die Bergsteiger aus dem Ausland dafür, den höchsten Punkt der Erde erreicht zu haben. Die eigentlichen Helden, die diese Erfolge mit ihrer Arbeit erst ermöglicht haben, werden selten besungen: Sherpas wie Chhewang Nima, der am Baruntse in einer Lawine starb, als er Fixseile für britische Bergsteiger legte.

P.S. Empfehlen kann ich euch die dreiteilige Dokumentation des Schweizer Fernsehens: „Die wahren Helden am Everest“.

Datum

27. Oktober 2010 | 15:23

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