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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Vor 15 Jahren: Everest-Tragödie mit Ansage

Unbestritten war es eine Tragödie, aber eine Katastrophe? Nein, dazu bedarf es anderer Ausmaße als das, was sich heute vor 15 Jahren am Mount Everest zugetragen hat. 27 Bergsteiger erreichen am 10. Mai 1996 den Gipfel des höchsten Bergs der Erde. Am nächsten Morgen sind acht Menschen tot – erfroren, an Erschöpfung gestorben oder abgestürzt.
Es war eine Verkettung von fatalen Umständen und schweren Fehlern, die zu dem Unglück führten. Unter den zahlenden Kunden der kommerziellen Expeditionen waren einige, die bei weitem nicht über die nötige Erfahrung am Berg verfügten, um am Mount Everest eine heikle Situation zu überstehen. Es gab Staus an den Schlüsselstellen. Bergsteiger und -führer ignorierten vereinbarte Umkehrzeiten. Dann schlug das Wetter um. Wäre der russische Bergführer Anatoli Boukreev nicht noch einmal vom Südsattel aus aufgebrochen, um völlig erschöpfte und orientierungslose Bergsteiger zum Lager zu lotsen, wären noch mehr Tote zu beklagen gewesen.


Beck Weathers, schwer gezeichnet, aber lebendig

In Echtzeit in alle Welt

Der Medienrummel um die Tragödie am Everest im Jahr 1996 war riesengroß. Erstmals wurde ein Unglück am Berg via Internet quasi in Echtzeit in die Wohnzimmer der Sessel-Abenteurer getragen. So erfuhr die Welt, dass sich der neuseeländische Bergführer Rob Hall, kurz bevor er am Südgipfel auf rund 8700 Metern Höhe starb, per Satellitentelefon von seiner schwangeren Frau verabschiedete und mit ihr über den Namen ihres noch ungeborenen Kindes sprach. Oder dass Beck Weathers, ein bergsteigender Pathologe aus den USA, den die anderen bereits für tot gehalten und im Schnee liegen gelassen hatten, plötzlich ins Lager am Südsattel taumelte. Trotz schwerster Erfrierungen überlebte Beck.
„Into thin air“ (deutsche Ausgabe: „In eisige Höhen“), das Buch des Journalisten Jon Krakauer, der sich ebenfalls hatte retten können, wurde ein Weltbestseller. Der IMAX-Film „Everest – Gipfel ohne Gnade“ füllte die Kinosäle.

Everest-Boom ungebrochen

Anschließend setzte eine Grundsatzdiskussion über das kommerzielle Bergsteigen am höchsten Berg der Erde ein. Den Everest-Boom konnte die Tragödie jedoch nicht stoppen. Nach wie vor tummeln sich Jahr für Jahr in den Basislagern auf der tibetischen Nord- und der nepalesischen Südseite Hunderte von Bergsteigern, die auf dem Dach der Welt stehen wollen. Und noch immer gehört nicht jeder aufgrund seiner Fähigkeiten dorthin – vorsichtig formuliert.


Beck Weathers \’restauriert\‘

Es gibt mehrere Gründe, warum sich eine Tragödie wie 1996 bis heute am Mount Everest nicht wiederholt hat: Fixseile bis zum Gipfel sind inzwischen Standard auf beiden Normalrouten. Jede Expedition verfügt über GPS-Geräte, die es den Bergsteigern auch im Whiteout, also bei ‚Sicht gleich null’, ermöglichen, die Orientierung zu behalten. Zudem sind die Wetterprognosen inzwischen wesentlich genauer als vor 15 Jahren. Und nicht zu vergessen: die Sherpas, von den Veranstaltern angeheuert, um die Kunden sicher auf den Gipfel zu bringen, sind echte Profis.

Besteigungen und ein Todesfall

Doch auch sie können nicht verhindern, dass alljährlich Menschen am Everest ums Leben kommen. Vor wenigen Tagen starb der US-Bergsteiger Rick Hitch beim Versuch, den letzten der „Seven Summits“, der höchsten Berge aller Kontinente, zu besteigen. Der 55-Jährige kollabierte nahe Lager III auf gut 7000 Metern, vermutet wird ein Höhenlungenödem als Ursache. Die ersten Gipfelerfolge des Jahres verdrängten den Todesfall schnell aus den Schlagzeilen.

Datum

10. Mai 2011 | 5:40

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