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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Göttler: Gewaltbereite Sherpas vergiften Everest-Klima

David Göttler

David Göttler

Über 300 Everest-Träume sind vorerst geplatzt. So viele Bergsteiger kehrten nach der Lawine im Khumbu-Eisbruch unverrichteter Dinge heim, nachdem ihre Expeditionen abgeblasen worden waren. Zu ihnen gehörte auch David Göttler. Der 35 Jahre alte Münchener hatte versuchen wollen, den höchsten Berg der Erde über die Normalroute auf der nepalesischen Südseite ohne Flaschensauerstoff zu besteigen. Göttler war noch dabei, sich zu akklimatisieren, als ihn die ersten, noch widersprüchlichen Meldungen über die Lawine erreichten. „Anfangs habe ich gehofft, vielleicht doch noch einen Versuch machen zu können“, erzählt mir David am Telefon. Deshalb habe er sein Vorbereitungsprogramm zunächst auch fortgesetzt. „Als ich am Gipfel des Island Peak (Sechstausender im Everest-Gebiet) war und unterhalb des höchsten Punktes übernachten wollte, kam die Nachricht, dass meine Expedition und auch alle anderen abgebrochen würden.“ Er kehrte nach Kathmandu zurück.

„David, was hat dich letztlich bewogen, das Unternehmen komplett fallen zu lassen? Du hättest doch zum Basislager weiterziehen und alleine durch den Eisbruch klettern können.

Adrian Ballinger vom Veranstalter Alpenglow, auf dessen Permit ich lief, ist von Kathmandu aus ins Basislager geflogen und hat mit seinen Sherpas geredet. Er hat sie auch gefragt, ob ich kommen könnte. Adrian wollte, nachdem er seine Gäste mit Sauerstoff auf den Gipfel geführt hätte, mit mir zusammen noch einen Versuch ohne Sauerstoff machen. Aber die Sherpas haben relativ deutlich gesagt, dass eine kleine, aber anscheinend sehr einflussreiche Sherpa-Gruppe jedem, der höher als das Basislager steigen wollte, Gewalt androhte. So wurde auch dem Basislager-Personal, z. B. unserem Küchenchef, gedroht, dass seine Familie zu Schaden kommen werde. Das ist etwas, was ich absolut nicht gutheißen kann und scharf kritisiere.

Das war nur eine kleine Gruppe. Der Großteil der Sherpas hat tief getrauert. Ich verstehe jeden einzelnen, der sagt, ich möchte in dieser Saison nicht mehr den Everest besteige. Das akzeptiere ich und würde niemals jemanden zwingen, für mich Fixseile zu legen. Aber ich möchte immer noch als Bergsteiger die Möglichkeit haben, die Risiken selbst zu beurteilen und dann für mich zu entscheiden, ob ich gehe oder nicht. Nachdem aber ausdrücklich gesagt wurde, dass es nicht erwünscht sei, dass irgendwer bergsteige, haben wir auch abgebrochen.  Das ist eine Atmosphäre, in der ich mich nicht wohl fühle und in der ich nicht bergsteigen möchte.

Südseite des Mount Everest

Südseite des Mount Everest

Im letzten Jahr griffen Sherpas Ueli Steck und Simone Moro in Lager 2 tätlich an. Jetzt drohte eine kleine Gruppe Gewalt an und übte Druck aus. Gewalt ist plötzlich ein Thema am Everest. Denkst du, dass die Sherpas in sich gehen müssen, weil offenkundig ein Riss durch ihre Gemeinschaft geht?

Sie müssen das Problem auf jeden Fall lösen. Diese Atmosphäre von Drohungen und Gewaltbereitschaft vergiftet das ganze Klima. Dabei schießen sich die Sherpas doch ins eigene Bein, weil sie ziemlich schnell merken werden, was passiert, wenn keine Expeditionen mehr kommen. Gerade die Sherpas dieser kleinen gewaltbereiten Gruppe, die für Veranstalter arbeiten, die ihre Mitarbeiter nicht ausreichend versichern, werden als erste keine Arbeit mehr haben. Ich weiß nicht, wie sie dann reagieren.

Ich hatte das Gefühl, dass sich im letzten Jahr alle darauf verlassen haben, dass die Regierung einschreitet. Das hat offenkundig nicht funktioniert. Welche Rolle kann und sollte die Regierung überhaupt spielen? Ist es nicht vielmehr Aufgabe der Bergsteiger-Gemeinschaft, dieses Problem selbst zu lösen?

Ich komme nach Nepal und zahle mein Permit an die Regierung und nicht an die Sherpas. Von daher würde ich mir wünschen, dass die Regierung und das SPCC (Sagarmatha Pollution Control Comittee, die Verwaltung des Everest-Nationalparks) dieses Geld auch in die Everest-Region weitergibt oder zumindest, dass dort ein größerer Teil als bisher ankommt. Jedes Wasserkraftwerk, jede Brücke, jede Schule, jedes Krankenhaus im Khumbu-Gebiet ist aus Deutschland, Italien, den USA oder anderen westlichen Ländern  gesponsert. Da frage ich mich, wie wahrscheinlich auch die Sherpas: Wo bleibt eigentlich das Geld dieser Permits von 300 und mehr Bergsteigern für jeweils 10.000 Dollar? Auf der anderen Seite sollte es auch selbstverständlich sein, dass jeder zahlende Kunde sich einen Veranstalter aussucht, der verantwortungsvoll mit seinen Angestellten umgeht. Hätte ich mich für den preisgünstigsten Veranstalter entschieden, hätte ich 5000 Euro sparen können. Ich kannte ihn aber nicht und wusste nicht, welche Versicherungen er abschließt und wie er seine Leute behandelt.

Die Sherpas – von den „Ice doctors“, über die Hochträger bis zu den Climbing Sherpas – riskieren im Khumbu-Eisbruch Kopf und Kragen. Hast du Verständnis, wenn sie fordern, für ihren gefährlichen Job besser bezahlt zu werden?

Es muss so honoriert werden, dass beide Seiten damit einverstanden sind. Da bin ich einer Meinung mit den Sherpas. Aber sie müssen die Bezahlung aushandeln, bevor die Arbeit losgeht. Jeder Sherpa unterschreibt bei seiner Agentur einen Vertrag, in dem genau steht, wie hoch die Versicherungssumme im Todesfall ist, wie oft er durch den Eisbruch gehen muss, wie viel Geld er dafür erhält. Wenn ich in den Alpen als Bergführer arbeite und einen Job am Mont Blanc annehme, weiß ich auch, dass es dort die Tacul-Flanke gibt, wo schon mehrere Bergführerkollegen bei Lawinen ums Leben gekommen sind. Trotzdem mache ich es eine bestimmte Summe, die ich vorher aushandele. Ich weiß, was mich erwartet. Genauso wissen die Sherpas, was sie im Khumbu-Eisbruch erwartet. Ich war in drei verschiedenen Jahren dort, und der Weg war immer gleich gefährlich. In diesem Jahr war das Unglück, dass so viele zur falschen Zeit an der falschen Stelle waren. Das hätte in all den Jahren zuvor ebenfalls passieren können. Ich weiß an der Tacul-Flanke auch, dass ich ums Leben kommen kann. Aber ich kann nicht plötzlich, wenn vor mir eine Lawine abgeht, in Streik gehen und sagen: Jetzt möchte ich doppelt so viel Geld, weil es doppelt so gefährlich ist. Die Sherpas, die am Everest arbeiten, sind clever, nicht ungebildet. Sie waren schon dort und gehen wieder hin, weil sie wissen, es ist sehr gut bezahlte Arbeit. Wenn sie mehr Geld wollen, ist es auch okay. Aber dann sollen sie es vorher aushandeln. Sie können nicht plötzlich das Doppelte verlangen, das kann ich nicht unterstützen.

Everest-Nordseite

Everest-Nordseite

Erstmals seit dem Beginn kommerzieller Expeditionen zum Everest ist eine Saison vorzeitig zu Ende gegangen. Glaubst du, dass die großen Veranstalter jetzt auf die Nordseite wechseln werden?

Ich bezweifle es. In einem Jahr gerät vieles in Vergessenheit. Ich weiß auch nicht, ob es für kommerzielle Veranstalter die bessere Wahl wäre, auf die Nordseite zu gehen. Auch dort gibt es Nachteile. So kann die chinesische Regierung von einem Tag auf den anderen sagen: Der Berg ist jetzt geschlossen, weil der Dalai Lama das Land XY besucht hat. Auch die Möglichkeiten, Bergsteiger in Not zu retten, sind bei weitem nicht so gut wie auf der Südseite, wo Helikopter-Rettungsflüge bis Lager 2 gang und gäbe sind. Auf der Südseite habe ich außerdem eine niedrigere Schlafhöhe im letzten Lager. Ich weiß nicht, was für einen kommerziellen Veranstalter mittlerweile das kleinere Übel ist.

Ich würde mir wünschen, dass die nepalesische Südseite wieder gut funktioniert, in dem Sinne, dass die Sherpas, die Veranstalter und die individuellen Bergsteiger wieder gut zusammenarbeiten und sich gegenseitig respektieren, damit alle zusammen bergsteigen können, in den verschiedenen Spielformen.

Wie sieht es jetzt mit deinen persönlichen Everest-Ambitionen aus?

Ich möchte immer noch den Everest wenigstens einmal probieren. Wenn es sich wirklich bewahrheitet, dass das Permit für fünf Jahre gültig bleibt, werde ich sicher auch noch einmal auf die Südseite zurückkehren.“

Datum

3. Mai 2014 | 11:59

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