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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Wettlauf mit vorhersehbarem Ende

Roald Amundsen

Brecht hat Recht: „Unglücklich das Land, das Helden nötig hat!“ Die wahren Helden wirken eher im Stillen, nicht im Rampenlicht. In diesen Tagen wird jedoch allerorten wieder viel über Heldentum schwadroniert. Am Mittwoch (14.12.) jährt sich schließlich zum 100. Mal der Tag, an dem die ersten Menschen den Südpol erreichten. Nicht nur sein Heimatland Norwegen hob Roald Amundsen für diesen Coup auf den Heldenthron. Und dann gab es ja auch noch den tragischen Helden Robert Falcon Scott. Der Brite verlor erst den Wettlauf gegen Amundsen zum Pol und anschließend auch noch sein Leben. Eine Geschichte, die zur Verklärung geradezu einlädt.

Auf Bewährtes gesetzt

Von den Inuit gelernt

Dabei war der Ausgang des Wettrennens zum Südpol eigentlich schon fast vorprogrammiert. Im Gegensatz zu Scott war Amundsen ein Perfektionist, der nichts dem Zufall überließ. Schon als er von 1903 bis 1906 mit seinem Schiff Gjøa erstmals die legendäre Nordwestpassage durchfuhr, studierte er die Lebensgewohnheiten der in der Arktis lebenden Inuit. Amundsen lernte von ihnen, mit Schlitten und Hunden umzugehen und in kalten Polarnächten in freier Natur zu überleben. Dieses Wissen nutzte er auch bei seiner Antarktis-Expedition. Der Norweger verließ sich ausschließlich auf Material und Methoden, die sich bewährt hatten, und optimierte sie. Die Schlitten wogen zuletzt nur noch 35 Kilogramm, 15 weniger als zu Beginn. Damit wurden die Norweger auf dem Eis schneller.

Kürzere Route

Der Geschwindigkeit kam auch die Routenwahl zugute. Der Weg zum Südpol, den Amundsen wählte, führte zwar durch unbekanntes Terrain, war aber rund 100 Kilometer kürzer als die Route Scotts. Der Brite entschied sich für die Strecke, auf der sein Landsmann Ernest Shackleton 1909 dem Pol bis auf 180 Kilometer nahe gekommen war. Scott setzte auf moderne Technik und verspekulierte sich damit gründlich. Der Engländer wollte den Wettlauf mit Motorschlitten und Ponys gewinnen. Die Motoren streikten in der Kälte, die Ponys schwächelten und mussten letztendlich erschossen werden.

Besseres Team

Amundsen auf Skiern

Eine wichtige Rolle spielte auch, wie gut die Teams funktionierten. Heute wird der Wettlauf gerne auf die Protagonisten Amundsen und Scott reduziert, doch der Norweger und der Brite erreichten den Pol mit jeweils vier Gefährten. Bei der Auswahl seiner Mannschaft bewies Amundsen das größere Geschick. So holte er den damals besten Skilangläufer Norwegens ins Boot, Olav Bjaaland, der außerdem als Zimmermann die Schlitten in Schuss hielt. Helmar Hanssen, ebenfalls mit am Südpol, hatte sich schon als Teammitglied Amundsens in der Nordwestpassage bewährt und sich von den Inuit zeigen lassen, wie sie mit den Schlittenhunden umgingen. Die Teammitglieder, die Scott um sich scharte, waren bei weitem nicht so handverlesen, austrainiert und erfahren wie die Norweger.

Überraschungseffekt

Zu spät gekommen

Und dann hatte Amundsen noch einen psychologischen Vorteil. Er war der Herausforderer und hatte damit weniger zu verlieren. Scott wusste von seinem Rivalen nichts, ehe Amundsen ihn und die Öffentlichkeit im Oktober 1910 überraschend per Telegramm informierte, dass er bereits Richtung Antarktis unterwegs sei. In Scotts Tagebuch finden sich kaum Hinweise auf den Konkurrenten – fast so, als hätte er verdrängt, dass die Briten den Wettlauf auch verlieren könnten. Erst als durch die Spuren der Norweger offenbar wurde, was er insgeheim vielleicht schon geahnt oder befürchtet hatte, machte Scott seiner Enttäuschung Luft: „Großer Gott! Und an diesen entsetzlichen Ort haben wir uns mühsam hergeschleppt, und erhalten als Lohn nicht einmal das Bewusstsein, die Ersten gewesen zu sein.“

Gestorben und gehörnt

Scott und seine Gefährten erreichten den Südpol erst am 18. Januar 2012, über einen Monat nach Amundsens Team. Frustriert, entkräftet, von Skorbut und Erfrierungen gezeichnet, machten sich die Briten auf den Rückweg. Keiner von ihnen überlebte. Auf der erste Seite des letzten Tagebuchheftes hatte Scott den Vermerk gesetzt: „Schickt dieses Tagebuch meiner Frau.“ Das letzte Wort strich er aus und schrieb „Witwe“ darüber. Gut, dass er nicht wusste, dass sich Kathleen Scott in jener Zeit in Berlin mit Fritjof Nansen vergnügte –  einem weiteren Polarhelden, der wie Amundsen ein Norweger war.

Datum

12. Dezember 2011 | 17:00

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