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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Burnout

Vor Weihnachten quält einen häufig das schlechte Gewissen. Vernachlässigte Freunde fallen dir ein und lassen dich zum Telefonhörer greifen. Ich wähle die Handynummer des Mount Everest, bei dem ich mich im Sommer zum letzten Mal gemeldet hatte. Nach dreimaligem Klingeln wird das Gespräch angenommen: „Hallo, hier der Nanga Parbat.“ Verwählt. Ich entschuldige mich und versuche es noch einmal. Dieselbe Stimme: „Hallo, hier das Matterhorn!“ Diesmal lege ich nicht auf.

 

Ich bin mir sicher, die richtige Nummer gewählt zu haben. Du bist es doch, lieber Chomolungma. Warum meldest du dich mit falschem Namen?

Das hat mir mein Psychiater geraten.

Ich wusste gar nicht, dass es dir wieder so schlecht geht. Welche Diagnose hat er denn gestellt?

Klassischer Burnout mit der Gefahr einer tiefen Depression.

Und welche Therapie hat der Psychiater vorgeschlagen?

Er meinte, ich solle mich für eine Weile ganz aus dem Besteigungsgeschäft zurückziehen.

Das klingt leichter gesagt als getan?

(Stöhnt) Das habe ich ihm auch gesagt. Die Liste der Expeditionen für das kommende Frühjahr wird länger und länger. Und ich habe eigentlich keine Hoffnung, dass mich 2012 weniger Bergsteiger bepieseln als 2011.

Wie viele waren es denn in diesem Jahr?

Im Frühjahr 531 auf der nepalesischen und 324 auf der tibetischen Seite, macht 855, das Küchenpersonal nicht mitgerechnet. 506 Mal sind sie mir aufs Haupt gestiegen, davon 375 Mal von der Südseite aus. Das reicht für einen Burnout.

Aber im Herbst war doch sicher weniger los?

Wie immer. Nur ein paar Lang- und Kurznasen, für die Lager III auf 7300 Metern Endstation war. Dazu ein Japaner, der alleine hoch wollte. Außer ein paar Videoclips ist nicht viel dabei herausgekommen. Oben war im Herbst jedenfalls keiner. Wenn es doch auch im Frühling so ruhig zuginge!

Ist das dein Wunsch für Weihnachten?

Ich bin Buddhist, schon vergessen?

Nee, aber du darfst dir doch trotzdem etwas wünschen. Bei uns in Deutschland gibt es sogar ein Postamt, an das du deinen Wunschzettel fürs Christkind schicken kannst. Du musst dich nur als Kind ausgeben.

Echt? Nehmen die auch Kinder an, die 8850 Meter groß sind?

Probier‘ es doch einfach! Was steht denn ganz oben auf deiner Wunschliste?

Eine Schneekanone, eine Wind- und eine Nebelmaschine.

Wozu das?

Schlechtes Wetter ist das einzige, was mir Ruhe verschafft.

Aber vielleicht würde es dir dann irgendwann zu langweilig.

(Lacht) Ich habe doch ein Handy, sogar ein Smartphone.

Ich bin beeindruckt.

Wenigstens einer.

Frohe Weihnachten, lieber Chomolungma!

Danke, wenn du drauf bestehst!

Datum

22. Dezember 2011 | 15:58

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