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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

„Was tun?“, spricht nicht nur Zeus

Zeit, in sich zu gehen

„Sag’ mal, was ist da eigentlich los am Mount Everest?“, wurde ich in den vergangenen Tagen häufig gefragt. „Am ersten Gipfel-Wochenende mit mindestens sechs Toten hat sich kein Drama, erst recht keine Katastrophe, sondern nur ein Unglück mit Ansage ereignet“, antwortete ich und schilderte die Umstände. Prompt kam dann meistens die Nachfrage, ob man die kommerziellen Expeditionen am Everest nicht schlicht verbieten solle. Das hatte schließlich auch Reinhold Messner gefordert, der – gefühlt – beinahe reflexartig befragt wird, sobald nur das Wort Himalaya fällt. Doch schon der amerikanische Schriftsteller und Satiriker Henry Louis Mencken (1880-1956) erkannte: „Für jedes Problem gibt es eine Lösung, die einfach, klar und falsch ist.“

Taube Ohren

Ein Verbot kommerzieller Expeditionen am Mount Everest könnte nur die nepalesische Regierung aussprechen. Die hat daran aber erstens kein Interesse, da sie selbst am Everest verdient, indem sie die Genehmigungen verkauft, den höchsten Berg der Erde zu besteigen. Und zweitens müsste sie sich dann den Vorwurf gefallen lassen, den Menschen im Khumbu-Gebiet rund um den Everest ein großes Stück ihres Überlebenskuchens wegzuschneiden. Schließlich leben nicht nur die „Climbing Sherpas“ von den Expeditionen, sondern auch viele Träger, Lodge-Besitzer und Lebensmittelhändler. Messner selbst weiß, dass seine Maximalforderung keine Chance hat. Schließlich stieß er in der Vergangenheit selbst mit seinem Vorschlag einer abgespeckten Verbots-Variante (nur eine Expedition pro Everest-Route) bei den Verantwortlichen in Nepal auf taube Ohren.

Vorschlag 1: Mindestens eine andere Achttausender-Besteigung

Muss darum alles bleiben, wie es ist? Nein. Ändert sich nichts, ist es nur eine Frage der Zeit, wann sich im Stau auf der Normalroute wirklich einmal ein Drama oder eine Katastrophe ereignet. Kreative Vorschläge sind nötig. Vielleicht hilft ja auch ein Bündel von Reformen. Einen diskussionswürdigen Vorschlag hat – wie ich finde – Dominik Müller gemacht. Der Bergführer und Chef des Expeditionsveranstalters Amical alpin regt an, künftig nur noch Bergsteiger für den Mount Everest zuzulassen, die zuvor mindestens einen anderen Achttausender bestiegen haben. „Dann haben sie wenigstens schon einmal sehr dünne Luft geschnuppert, das Leben bei einer Expedition kennengelernt und wissen, wie man Steigeisen anlegt“, sagt Dominik.

Vorschlag 2: Mehr Eigenverantwortung

Helfende Hände - in Maßen

Hier mein ergänzender Vorschlag: eine Arbeitsplatzbeschreibung für Sherpas, die zu mehr Eigenverantwortung der zahlenden Kunden führt. Die Sherpas legen weiterhin die Hochlager an und versichern die Route. Fixseile werden aber nicht – wie in den letzten Jahren zur Regel geworden – durchgängig, sondern nur noch an wirklich gefährlichen Passagen angebracht. Flaschensauerstoff wird erst ab Lager 4 auf dem Südsattel (knapp 8000 Meter) eingesetzt, in tieferen Regionen nur im Notfall. Die Bergsteiger tragen ihr Tagesgepäck und am Gipfeltag auch ihre Sauerstoffflasche selbst. Gipfelprämien für die Sherpas werden abgeschafft oder zumindest deutlich reduziert, dafür gibt es einen höheren Pauschallohn. Kein Sherpa wird sich deswegen auf die faule Haut legen, weiß er doch, dass er dann im nächsten Jahr nicht mehr engagiert wird.

Vorschlag 3: Gipfellisten überarbeiten

Der Schweizer Angelo Vedani, der 2007 zu unserem Team am Manaslu gehörte und den Gipfel erreichte, schlug in einem Kommentar zu einem meiner Blogartikel vor, Besteigungen mit Flaschensauerstoff nicht mehr in die offiziellen Gipfel-Listen (wie die der legendären Himalaya-Chronistin Elizabeth Hawley) aufzunehmen. „Dann wäre es viel schwieriger, mit einem ‚Gipfelsieg’ zu prahlen“, meint Angelo, schränkt jedoch ein: „Sicher müsste man die Besteigungen vor 1978, als Reinhold Messner und Peter Habeler den Gipfel erstmals ohne Sauerstoff erreichten, davon ausnehmen.“ Damit würde man aber auch jene guten, ambitionierten Bergsteiger treffen, die dem Mount Everest gewachsen waren, das Risiko, „oben ohne“ aufzusteigen, aber als zu groß einschätzten. Und ob die Everest-„Touristen“ wirklich auf die offiziellen Listen schielen? Einem Prahlhans reicht doch ein Gipfelfoto.

P.S. Habt ihr weitere Vorschläge. Her damit!

Datum

30. Mai 2012 | 15:48

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