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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Vor 30 Jahren: Reinhard Karl stirbt am Cho Oyu

Reinhard Karl (1946-1982)

Peinlich. Da ist mir doch vor lauter Everest am 19. Mai der 30. Todestag Reinhards Karls durchgeflutscht. Ich könnte natürlich einfach darüber hinweggehen. Doch dieser Mann hat es wirklich verdient, dass man sich seiner erinnert. Kaum einer hat der Alpinliteratur und der Bergfotografie in so kurzer Zeit so viele Impulse gegeben wie Reinhard Karl. Nach wie vor gehört er im deutschen Sprachraum zu den meistzitierten Bergsteigern.

Von einem Eisbrocken erschlagen

19. Mai 1982, fünf Uhr früh, am Achttausender Cho Oyu in Nepal: Reinhard Karl und der Österreicher Wolfgang Nairz wachen in ihrem Zelt auf 6700 Metern auf. Karl wirft den Kocher an, um Schnee zu schmelzen und kriecht in den Schlafsack zurück. Nairz erinnert sich: „Wenig später war plötzlich ein Rauschen. Reinhard sagt noch: ‚Was ist das?’ Und unmittelbar darauf, im nächsten Moment war ein Krachen. Wir waren völlig zugedeckt von einer Eislawine. Ich habe noch nach Reinhard gerufen, habe keine Antwort bekommen.“ Nairz überlebt schwer verletzt. Reinhard Karl ist tot. Ein Eisbrocken hat den 35-Jährigen mitten ins Gesicht getroffen. Die anderen Expeditionsmitglieder bestatten ihn im Schlafsack in einer Gletscherspalte.

Wolfgang Nairz über Reinhard Karls Tod in der Eislawine

Flucht vor dem „miesesten aller Traumjobs“

Das Bergsteigen ist Reinhard Karl nicht in die Wiege gelegt. 1946 wird er in Heidelberg geboren, in der Pfalz, fernab der Berge. Mit 14 Jahren beginnt Reinhard eine Lehre als Automechaniker, der „dreckigste und mieseste aller Traumjobs“, wie er später schreibt. Mit 17 macht er seine erste Klettertour. Das Bergsteigen am Wochenende wird zur Flucht vor dem ungeliebten Job. Als ihm der Inhaber der Autowerkstatt kündigt, beginnt Reinhard in Frankfurt zu studieren und gerät mitten in die 1968er-Studentenbewegung. Als Bergsteiger werden seine Touren extremer. Reinhard durchsteigt die Eiger-Nordwand, klettert an den Granitwänden des Yosemite-Nationalparks. 1977 eröffnet er mit Helmut Kiene am Fleischbank-Südostpfeiler im Wilden Kaiser die „Pumprisse“, eine bahnbrechende Kletterroute, die erste im siebten Schwierigkeitsgrad.

Der erste Deutsche auf dem Everest

Südseite des Cho Oyu - dort starb Reinhard Karl

Inzwischen hält sich Reinhard Karl mit dem Verkauf seiner Bergfotografien finanziell über Wasser. Der Autodidakt spielt mit Lichteffekten und ungewöhnlichen Perspektiven. „Bewusstes Sehen ermöglicht bewusstes Erleben“, schreibt Reinhard. Eine große deutsche Zeitschrift beauftragt ihn 1978, als Fotograf die erste Besteigung des Mount Everest ohne Atemmaske zu dokumentieren. „Da kam dieser linke, deutsche Student und hat gestänkert, provoziert, mit ganz kleinen spitzen Bemerkungen ganz genau dort angesetzt, wo jemand wirklich empfindlich war“, erzählt der Österreicher Oswald Oelz. Die beiden bilden eine Seilschaft und erreichen am 11. Mai 1978 (drei Tage nach Reinhold Messner und Peter Habeler) den Gipfel des Mount Everest – mit Flaschensauerstoff. Reinhard Karl ist der erste Deutsche auf dem höchsten Berg der Erde. „Ich ahne, dass auch der Everest nur ein Vorgipfel ist, den wirklichen Gipfel werde ich nie erreichen.“

Oswald Oelz über Reinhard Karl 1978 am Everest

Unantastbar wie der Regenbogen

1979 besteigt Karl mit dem Gasherbrum II seinen zweiten Achttausender. Dann reißt seine Erfolgsserie. Reinhard scheitert am Cerro Torre in Patagonien, muss am Nanga Parbat aufgeben und auch der K 2 hält ihn auf Distanz. Vor seiner Abreise zum Cho Oyu 1982 verfasst Reinhard Karl einen Essay mit dem Titel „Unterwegs nach Hause. Er klingt fast wie sein eigener Nachruf: „Ich habe nicht nach rechts und nach links noch zurück geschaut. Das war die Jagd nach den schwierigsten Kletterrouten und nach den höchsten Bergen. Danach gab ich’s auf. Das was ich suchte, war so unantastbar wie der Regenbogen.“

Reinhard Karls letztes Interview am Cho Oyu 1982

P.S. Reinhard Karls Buch „Erlebnis Berg: Zeit zum Atmen“ sollte jeder Bergfreund gelesen haben. Ich empfehle euch auch die Reinhard-Karl-Biographie von Tom Dauer: „Ein Leben ohne Wenn und Aber“. Die dort beiliegende CD (mit einem Radio-Feature und O-Tönen von Karl) habe ich vor zehn Jahren verzapft.

Datum

14. Juni 2012 | 17:19

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