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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Göttinmutter reif für Mütterkur

Das Telefon klingelt. Ich blicke auf das Display. Na so was, eine Premiere! Chomolungma ruft mich an. Bisher war das eher eine Einbahnstraße. Stets hatte ich den höchsten Berg der Erde angeläutet, um mich nach seinem Befinden zu erkundigen. Neugierig hebe ich den Hörer ab. 

Hier ist Chomolungma, bist du es, Stefan? 

Namasté, mein Freund! Das ist aber eine Überraschung, dass du dich mal meldest. Wie komme ich zu der Ehre? Ich dachte, du lägst im Winterschlaf. 

Ich habe noch kein Auge zugemacht. Schon mal was von Kopfkino gehört? Auch ich muss verarbeiten, was ich erlebt habe. Und außerdem wollte ich einen Antrag stellen. 

Bei mir? Welchen denn? 

Nimm mich in dein Programm „Fair zum Berg“ auf.  

Chomo, das ist kein Programm, sondern war eine Aktion. Ich wollte auf die Bedrohung der Bergwelt durch den Klimawandel aufmerksam zu machen und für mehr Respekt und Demut gegenüber den Bergen plädieren. 

Und verdiene ich das vielleicht nicht? 

Na klar, ich habe dabei natürlich auch an dich gedacht. Aber wo zwickt es dich denn derzeit besonders? 

Witzbold! Überall. Vom Fuß bis zum Gipfel. Wenn ich könnte, würde ich aller Welt den blank gezogenen Allerwertesten oder den Mittelfinger entgegenstrecken.

Na, na, Chomo, jetzt klingst du aber nicht gerade wie die Göttinmutter der Erde. 

(Stöhnt) Gibt es bei euch nicht ein Müttergenesungswerk, das Kuren für gestresste Mütter anbietet?

So schlimm? 

Dieser Wahnsinn macht mich wahnsinnig. Ich nenne dir jetzt mal ein paar Zahlen und du sagst mir, ob ich ein Hypochonder bin: Im Frühjahr zählte ich alleine auf der nepalesischen Seite 900 Camper im Basislager. 565 Mal stieg man mir in dieser Saison aufs Dach, über 6000 Mal musste ich mir das in den letzten 60 Jahren schon gefallen lassen. Hypochonder? 

Nein, aber ganz neu sind deine Beschwerden nicht. 

(Wird laut) Verdammt, es reagiert aber niemand. Die Regierung Nepals nicht, die Bergsteiger schon gar nicht. Die werden eher sogar noch verrückter.  

Das musst du mir erklären. 

In der nächsten Saison sollen ganze Expeditionsgruppen mit dem Heli eingeflogen werden. Diese Banausen machen sich nicht mal mehr die Mühe, mir entgegenzulaufen. Und dann gibt es wohl auch einen Seniorenwettkampf um den Altersrekord. Ich wollte schon vorschlagen, dass die beiden Opis dann vom Gipfel aus ein Abfahrtsrennen mit dem Rollator anschließen. Das fände sogar ich witzig. 

Es gibt Bergsteiger, die glauben, dass du begonnen hast, dich gegen den Massenansturm zu wehren: Mehr Serac-Einstürze im Khumbu-Eisbruch, Steinschlag in der Lhotse-Flanke.

(Lacht höhnisch) Das meinst du ja wohl nicht ernst. Wenn ich wirklich meine dunkle Seite der Macht ausspielen wollte, wären die Folgen viel dramatischer. Aber ich bin doch kein Mörder. Die Rolle des Killers überlasse ich dem Klima und den Stolperern

Stolperer? 

Na, diese Pseudoextremen, die vor ihrem Everest-Versuch Steigeisen noch für Hunde-Maulkörbe hielten und die am liebsten schon in Kathmandu zur Sauerstoffflasche greifen würden. Die sind doch die eigentlichen Killer. 

Du meinst Selbstmörder. 

Auch. Aber diese Fixseilbahn-Bergsteiger gefährden ja nicht nur sich selbst, sondern auch ihre Mamis auf Zeit, die Sherpas  – und nebenbei auch die guten Kletterer, die im Stau stehen müssen. 

Hättest du ein Gegenmittel? 

Ganz einfach, diese Amateure sollen nicht nur die Hügel rund um ihre Heimatstadt, sondern ein paar richtig hohe Berge besteigen, ehe sie mir auf die Pelle rücken.  

Glaubst du etwa noch an den Weihnachtsmann? 

Nee, der hat schon im letzten Jahr meinen Wunschzettel ignoriert.  

Und jetzt? 

Gehe ich schlafen.  

Träum’ was Schönes, Chomo! 

Meerjungfrauen. 

Meerjungfrauen? 

Erstens erinnern sie mich an die ruhigen Zeiten vor 50 Millionen Jahren, als ich noch unter Wasser lebte. Zweitens sind Meerjungfrauen jung, schön und romantisch. Und drittens gibt es noch keine Steigeisen für Flossen-Wesen.

Datum

16. November 2012 | 17:41

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