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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Gelesen: Die Radsport-Mafia

Eigentlich wollte ich dieses Buch nicht lesen. Denn ich bin immer noch sauer auf die Herren Ullrich, Armstrong, Landis, Hamilton und wie sie alle heißen. Jahrelang habe ich, ein Freund des Radsports im Allgemeinen und der Tour de France im Besonderen, über die „Große Schleife“ berichtet – im guten Glauben, es gebe einige schwarze Schafe, aber doch nicht eine ganze Dopingherde. Wie sich herausstellte, hatten Fahrer und Offizielle des Teams Telekom und später der T-Mobile-Mannschaft mir, ohne mit der Wimper zu zucken, ins Gesicht und Mikrofon gelogen. Das geht mir bis heute nach. War ich zu naiv? Bestimmt. Immer wieder habe ich mich aber auch gefragt, wie diese Leute abends noch in den Spiegel schauen konnten. 

Nun also lag dieses Buch von Tyler Hamilton (geschrieben mit Unterstützung des Sportjournalisten Daniel Coyle) vor mir. Der US-Amerikaner, der 2004 Olympia-Gold im Zeitfahren gewann, wurde im selben Jahr zweimal des Dopings mit Fremdblut überführt. Hamilton war einer der Kronzeugen im Dopingverfahren gegen Lance Armstrong, dem inzwischen alle sieben Tour-Erfolge aberkannt worden sind. Sollte ich wirklich mit der Lektüre dieses Buchs wieder in den tiefen Sumpf eintauchen, der mir die Freude am Radsport so vergällt hat? Widerwillig begann ich zu lesen – und hörte nicht mehr auf. 

Von wegen Wasser und Brot 

Hamilton beschreibt eindringlich, wie er als Jungprofi realisiert, dass die Stars der Szene allesamt mit EPO und anderem nachhelfen. Wer „paniagua“, sprich nur mit Brot und Wasser fährt, hat kaum eine Chance auf eine vordere Platzierung: „Ich sah die Kluft zwischen dem, der ich war und dem, der ich sein konnte. Der ich sein sollte. Es war ungerecht. Es war unfair und gemein. In diesem Augenblick sah ich meine Zukunft klar vor mir. Wenn sich nichts änderte, war ich raus.“ Auch Hamilton beginnt zu dopen. Testosteron, EPO, später dann Bluttransfusionen. Zunächst versorgen noch die Teams ihre Fahrer mit den unerlaubten Mitteln. Später dann, nach den ersten großen Skandalen, müssen die Profis selbst für Nachschub sorgen. 

Hamilton belügt die eigenen Eltern und erschrickt darüber, wie leicht ihm das fällt. Wie selbstverständlich steigt er Schritt für Schritt die Dopingleiter hinauf, bis er herunterfällt. Erst kostet ihn eine Transfusion aus einem offenkundig unreinen Blutbeutel fast das Leben. Dann wird er als Dopingsünder enttarnt. „Da hat man nun seine ganze Laufbahn mit dieser elitären Bruderschaft verbracht, in dieser Familie, und das Spiel mit allen gemeinsam gespielt – und plötzlich wird man in eine Welt aus Scheiße gespült.“

Schlussdemontage

Und Lance Armstrong? Er hat laut Hamilton in großem Stile gedopt, andere dazu animiert, mit Funktionären herumgekungelt und sich als Teamkapitän und auch sonst fast wie ein Diktator aufgeführt. Der Ex-Teamkollege demontiert auch noch die letzten Reste eines gestürzten Denkmals. Auf meine Frage nach dem Blick in den Spiegel hat Hamilton auch eine Antwort parat: Selbst Lügendetektor-Tests hätten die Sünder nicht überführt „und zwar nicht, weil wir uns etwas vormachten – wir wussten, wir brachen die Regeln –,  sondern weil wir das nicht für Betrug hielten. Es schien uns nur fair, die Regeln zu brechen, weil wir wussten, alle anderen taten es auch.“ Das deckt sich mit meiner Beobachtung vom 26. Februar 2007, als Jan Ullrich sein Karriere-Ende verkündete. Er sagte damals nicht ein einziges Mal „Ich habe nicht gedopt“, aber mehrfach „Ich habe nicht betrogen“.

P.S. Zur Versöhnung mit dem Radsport biete ich euch hier einen Eindruck meiner Auffahrt hinauf nach Alpe d’ Huez im Jahr 2003 – bei laufendem Mikro, garantiert paniagua, inklusive Krampf (ca. bei 14:20 Min.):

Stefans Auffahrt nach Alpe d’Huez 2003

 

 

Datum

22. November 2012 | 18:56

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