Roland Krüger: „Abbrechen gibt es nicht“
Ich erreiche ihn am Satellitentelefon, noch im Zelt in der Antarktis. Auf dem Union-Gletscher wartet Roland Krüger – bei lauen minus drei Grad Celsius – auf seinen Rückflug nach Punta Arenas in Chile. Der 47-Jährige hatte, wie berichtet, als erster Deutscher im Alleingang und ohne jegliche Unterstützung den Südpol erreicht. Erstmals war das 1993 dem Norweger Erling Kagge gelungen.
„Roland Krüger, zunächst einmal einen ganz herzlichen Glückwünsch. Als Sie nach 49 Tagen auf dem Eis den Südpol erreichten, was war das für ein Gefühl, was ging Ihnen da durch den Kopf?
Das ist schwierig in Worte zu fassen. Es ist ein ganz außergewöhnliches Gefühl, so etwas erreicht zu haben, nach so langer Zeit – auch der Vorbereitungen – an den Südpol zu kommen. Ein tolles Gefühl.
49 Tage allein auf dem Eis, das bedeutet auch 49 Tage Entbehrungen. Auf was haben Sie sich am meisten gefreut?
Vor allem darauf, zu meiner Familie zurückzukehren. Und kurz vor dem Pol habe ich hauptsächlich daran gedacht, endlich etwas Vernünftiges zu essen. Ich war zum Schluss sehr, sehr hungrig.
Haben Sie bei Ihrer Skiwanderung zum Pol auch andere Abenteurer getroffen?
Bei 84 Grad Süd habe ich per Zufall eine Kolonne von Pistenraupen gesehen, die ein Depot für Flugzeuge angelegt haben. Die waren aber sehr weit weg und nur als kleine schwarze Punkte zu erkennen. Und bei 89 Grad 20 Minuten habe ich, auch in der Distanz, mehrere Last-degree-Skigruppen (Erklärung: Sie laufen „nur“ die letzten 111 Kilometer vom 89. bis zum 90. Breitengrad, so wie ich 2009 zum Nordpol) gesehen. Die habe ich etwas weiter östlich überholt und bin vor ihnen am Pol angekommen.
Wie waren das Wetter und die äußeren Bedingungen während Ihres Trips?
Das Wetter war ungewöhnlich für die Jahreszeit. Am Anfang hatte ich viel Wind, dann Perioden von Whiteout. Die Wolken hängen dann sehr tief, die Sonne dringt nicht mehr durch, man hat keinen Kontrast mehr. Alles ist nur noch weiß, der Horizont verschwimmt mit der Oberfläche. Dazu erschwerten so genannte Sastrugis, sehr hohe und harte Winderosionen im Schnee, das Laufen und Schlittenziehen. Das hat mich sehr viel Zeit gekostet. Danach hat es geschneit. Das ist ungewöhnlich, weil in der Antarktis normalerweise nicht so viel Schnee fällt. Ich habe meinen Schlitten teilweise durch Tiefschnee gezogen. Durch die Temperaturen ist der Schnee hier im Prinzip wie Sandpapier. Roald Amundsen hat es einmal „fish glue“, Fischleim, genannt. Man zieht seinen Schlitten wie einen schweren Stein, da geht gar nichts mehr.
Wie tief ist das Thermometer gesackt?
Die tiefste Temperatur, die ich gemessen habe, lag bei etwa minus 24 Grad, allerdings ohne Windchill-Faktor. Zum Schluss war es mit Windchill-Faktor etwa minus 40 Grad kalt.
Wie oft waren Sie versucht, ihren Versuch abzubrechen?
Abbrechen gibt es nicht. Es geht darum, mit den Verhältnissen zurechtzukommen, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Um den Pol zu erreichen, muss man einfach Geduld beweisen, Durchhaltevermögen und dann hinkommen.
Knapp zwei Monate allein mit den eigenen Gedanken, ohne Ansprechpartner. Womit haben sie sich in ihren Ruhezeiten die Zeit vertrieben?
Zum einen habe ich auf meinem IPod Musik gehört. Zum anderen ist es so, dass man kaum Zeit hat, weil man z.B. Sachen reparieren muss, die kaputt gegangen sind. Außerdem muss man versuchen, viel zu schlafen und sich auszuruhen.
Was haben Sie bei dieser Expedition gelernt?
Es ist ganz wichtig, nicht nur die Expedition selbst durchzuführen, sondern sie vorher auch vernünftig vorzubereiten. Ich habe das Projekt jetzt vier Jahre lang geplant, die Ausrüstung getestet und verändert, bis sie so war, wie ich sie brauchte. Das hat sehr gut geklappt. Ich habe weder Blasen an den Füßen noch Frostbeulen. Es hat alles hervorragend funktioniert. Die Wetter- und Oberflächenbedingungen waren in diesem Jahr einfach extrem schwierig. Auch andere Expeditionen, die aus der Luft versorgt wurden, hatten ähnliche Probleme. Sie waren noch langsamer, hatten ebenfalls kaputte Schlitten. Dieses Jahr war es extrem schwierig, das ist vorher natürlich nicht absehbar.
Sie sind ja Wiederholungstäter, waren schon einmal am Südpol, 2005 mit einem Team. Natürlich fragen sich viele, warum macht der eigentlich ständig so etwas?
Eine gute Frage. Erstens macht es mir einfach Spaß. Zweitens ist es eine tolle Sache, so ein Projekt anzufangen, auszuplanen, durchzuziehen und am Südpol erfolgreich abzuschließen. Das gibt einem viel Kraft.
Einen Schlitten mit 130 Kilogramm Gewicht zieht man nicht mal eben so übers Eis. Wie haben Sie für die Expedition trainiert?
Ich trainiere ohnehin regelmäßig, laufe viel. Das Wichtigste ist, mit einem Hüftgurt Autoreifen hinter sich herzuziehen, durch den Wald oder über einen Feldweg. So simuliert man das Schlittenziehen und bekommt Kraft in den Oberschenkeln. Man geht, wenn man einen Schlitten zieht, 20 bis 30 Grad nach vorne gebeugt. Auch darauf muss der Körper trainiert werden. Das braucht Zeit.
Sie hatten ursprünglich vor, die gesamte Antarktis solo zu durchqueren – waren dafür aber zeitlich zu sehr im Verzug. Ist dieser Plan aufgehoben oder nur aufgeschoben?
Mein Traum ist es immer noch, den Axel-Heiberg-Gletscher herunterzugehen. Im Moment aber möchte ich zu meiner Familie. Die Expedition war sehr erfolgreich und ist bis zum Pol gut gegangen. Es war mir zu risikoreich, bei diesen extremen Bedingungen in nur 15 Tagen noch einmal 500 Kilometer weiterzulaufen. Vielleicht gibt es ja ein nächstes Mal, aber das ist noch nicht beschlossen.
Sie treten demnächst einen neuen Managerposten an. Profitieren Sie dabei von den extremen Erfahrungen in der Antarktis?
Wie ich schon sagte: Aus einer erfolgreichen Expedition kann man sehr viel innere Kraft ziehen. Und man lernt, mit schwierigen Umständen in aller Ruhe umzugehen. Eine Management-Position verlangt auch, in schwierigen Situationen mit klarer Umsicht und Ruhe Dinge durchzuziehen, um seine Ziele zu erreichen.“