Nicht ohne meine Jeans
Bernd Kullmann hat seinen festen Platz in den Mount-Everest-Geschichtsbüchern. Als der Bergsteiger aus Karlsruhe am 17. Oktober 1978 auf dem 8850 Meter hohen Gipfel stand, trug er eine Original Levi’s Blue Jeans. „Ich war nicht nur der erste, sondern wahrscheinlich auch der einzige, der das je gemacht hat“, sagt der heute 58-Jährige. Damals sei es in den Alpen noch allgemein üblich gewesen, in Knickerbockern bergzusteigen. „Wir Jungen wollten halt provozieren, haben auch die Eiger-Nordwand in Jeans gemacht. Und dann war es für mich logisch, auch zum Everest mit Jeans zu gehen.“ Ab Lager drei auf etwa 7000 Metern zog Kullmann eine wattierte Wärmehose über die Jeans. „Daune haben wir uns nicht leisten können. Ich habe nicht einmal eine lange Unterhose drunter gehabt.“
Bernd Kullmann: Nicht ohne meine Jeans
Während der sieben Wochen am Everest habe er seine Jeans immer getragen – was nicht ohne Folgen blieb: „Im Hotelzimmer in Kathmandu konnte ich sie buchstäblich in die Ecke stellen.“ Entsorgt hat Kullmann die robuste Hose auch dann noch nicht. „Später wurde sie gewaschen und ich habe sie weiter benutzt. Das war einfach das Bekleidungsteil meiner Wahl.“
Drei Lebenssäulen
Zehn Jahre später kehrte er noch einmal zu den Achttausendern zurück. Im Frühjahr 1988 bestieg Kullmann während einer Doppelexpedition in Tibet zunächst die Shishapangma. Am nahe gelegenen Cho Oyu musste er wenig später kurz vor dem Gipfel im Höhensturm umkehren. „Damit war für mich das Thema erledigt“, sagt Kullmann. Schließlich hatte er nicht nur die Berge im Sinn. „Ich habe immer gesagt, mein Leben steht auf drei Säulen: Familie, Beruf und Bergsteigen. Aber keine dieser Säulen darf leiden, sonst leidet mein ganzen Leben darunter.“ Job und Sport konnte und kann Kullmann gut verbinden. Er ist Geschäftsführer des Augsburger Outdoor-Unternehmens Deuter. „Ich kann die Produkte, die wir verkaufen, selber testen.“ Im Durchschnitt verbringe er immer noch etwa 80 Tage im Jahr mit Klettern oder Bergtouren.
Zehn Schutzengel
Er sei mit den Jahren vorsichtiger geworden, erzählt Kullmann. Nicht ohne Grund. Anfang der 1980er Jahre stürzte er beim Solo-Klettern schwer, „in einer Phase, in der wir einen persönlichen Unverletzlichkeitsglauben hatten. Da hat auch ein Stück Arroganz mitgespielt.“ Anderthalb Jahre verbrachte er in Krankenhäusern und saß im Rollstuhl. Danach ging er wieder klettern. „Es war oft viel Glück mit im Spiel“, räumt Kullmann ein. „Und manchmal hat man nicht nur einen, sondern zehn Schutzengel strapaziert.“
Bernd Kullmann: Auf schmalem Grat
Sauberer Stil blieb auf der Strecke
Aufmerksam verfolgt der „Jeans-Besteiger“ das aktuelle Geschehen am Mount Everest. „Mich würde es heute nicht mehr reizen“, sagt Kullmann. Das Abenteuer sei verloren gegangen. „Ich stand damals völlig allein am Gipfel im Sturm und habe Angst gehabt, ob ich wieder heile herunterkomme. Es war eine wahnsinnige Situation. Mir sind die Tränen heruntergekullert.“ Ein Beweisfoto seines Gipfelerfolgs gebe es nicht.
Bernd Kullmann: Everest gestern und heute
Inzwischen, so Kullmann, liege der Everest in Fesseln. Überall seien Bergführer und Sherpas unterwegs, die ihre Kunden betreuten. „Heute müssen sie ja anstehen, bis sie überhaupt mal am Gipfel anschlagen können.“ Da sich Ausrüstung, Sportmedizin und Trainingsmethoden kontinuierlich verbessert hätten, findet Kullmann, müssten doch eigentlich alle Bergsteiger versuchen, den Everest ohne Flaschensauerstoff zu besteigen. Das Gegenteil sei der Fall. Der Kommerz habe den sauberen Stil auf dem Gewissen. „Aber wo eine Nachfrage existiert, entwickelt sich ein Markt. Das ist leider auch am Everest passiert.“
P.S. Bernd Kullmann hat sich auch zum 60-Jahr-Jubiläum der Everest-Erstbesteigung geäußert. Seine Worte könnt ihr auf den beiden Pinnwänden rechts im Blog nachlesen und -hören.