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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Miss Hawley: Keine Everest-Zirkusmätzchen

Miss Hawley (mit Ralf Dujmovits)

Möglicherweise habe ich es ein wenig übertrieben. Als ich Elizabeth Hawley um ihre Sicht auf den Mount Everest 60 Jahre nach der Erstbesteigung bitte, schreibt mir die legendäre Chronistin des Himalaya-Bergsteigens zurück: „Ihre Fragen scheinen den Mount Everest zu vermenschlichen, so sehe ich ihn aber keinesfalls.“ 89 Jahre hat die US-Amerikanerin bereits auf dem Buckel. Seit mehr als einem halben Jahrhundert dokumentiert Miss Hawley in der nepalesischen Hauptstadt Kathmandu die Expeditionen zu den hohen Bergen des Himalaya. Ein ungeschriebenes Gesetz unter Bergsteigern lautet: Erst wenn Miss Hawley bestätigt hat, dass du am Gipfel warst, warst du auch wirklich oben.

Nicht mehr als ein riesiger Felsblock

Vor und nach jeder Expedition taucht sie persönlich oder jemand aus ihrem Recherche-Team im Hotel auf und fragt die Bergsteiger nach ihren Plänen und später, was daraus geworden ist. Auch wenn sie selbst nie einen hohen Berg bestiegen hat, kennt die in Chicago geborene Journalistin so viele Details der Achttausender, dass sie Hochstapler entlarven kann. So ist Miss Hawley auf ihre Art auch ein Teil der Everest-Geschichte geworden. Und doch ist der höchste Berg der Erde für sie nicht mehr „als ein riesiger Felsblock, annähernd geformt wie eine Pyramide, mit zahlreichen Eigenschaften, die für Bergsteiger tückisch sind (z.B. Wächten oder Gletscherspalten), wo ein plötzlicher Wetterumschwung immer möglich ist, das alles in extrem großer Höhe“. (Ihr könnt Miss Hawleys Äußerungen auf den beiden Everest-60-Pinnwänden auf der rechten Seite des Blogs nachlesen.)

Ultimative Herausforderung: Hufeisen-Route

Da der Mount Everest nur ein gewaltiger Berg sei, dem „Menschen eigentlich nichts anhaben können“, wünsche sie ihm selbst zum Jubiläum nichts. Doch die Chronistin des Himalaya-Bergsteigens plädiert für mehr Sportsgeist unter den Gipfelanwärtern. Sie müssten vorher besser überprüft werden, um „viele unfähige Männer und Frauen“ auszusortieren. Gar nichts übrig hat Miss Hawley für – so wörtlich – „Zirkusmätzchen“ auf dem Dach der Welt: „etwa ohne Kleidung oberhalb der Hüfte sechs Minuten am Gipfel zu stehen oder dort oben ein Streichinstrument zu spielen oder einen Golfball abzuschlagen“.
Stattdessen sollten sich die Bergsteiger an ungelösten Everest-Problemen versuchen, zum Beispiel an neuen Wegen durch die riesige Ostwand oder an der Hufeisen-Route, der laut Miss Hawley „ultimativen Herausforderung“: Immer über die Grate, über den Nuptse, zum Lhotse, dann über den Südsattel zum Everest-Gipfel und über den Westgrat zurück. Immer in großer Höhe, „ohne die Krücke Flaschensauerstoff“, versteht sich. Und auch die Bergsteigerinnen nimmt Miss Hawley in die Pflicht. Sie würde gerne mehr Pionierinnen sehen, schreibt die 89-Jährige. „Es wird Zeit, dass sie etwas Neues und anderes machen, das Männer noch nicht getan haben.“

Datum

20. März 2013 | 17:52

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