More DW Blogs DW.COM

Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Messner: Ampel am Hillary Step

Reinhold Messner

Fragt den Erstbesten auf der Straße nach dem Namen eines berühmten Bergsteigers, und ihr werdet mit sehr großer Wahrscheinlichkeit die Antwort „Reinhold Messner“ erhalten. Obwohl seine Pioniertaten im Himalaya schon mehr als ein Vierteljahrhundert zurückliegen, ist der 68 Jahre alte Südtiroler nach wie vor im öffentlichen Bewusstsein sehr präsent. Dafür sorgt Messner auch selbst. Unermüdlich schreibt er Bücher, hält Vorträge, gibt Interviews – und polarisiert mit seinen Aussagen. Auch bei meinem Gespräch mit ihm anlässlich des bevorstehenden 60. Jahrestags der Everest-Erstbesteigung wurde Reinhold Messner gewohnt deutlich. Wundert euch nicht, dass ich ihn nicht nach dem jüngsten Zwischenfall am Everest gefragt habe. Wir haben uns vorher getroffen. (Seine Meinung dazu findet ihr, wenn ihr hier klickt.) 

Reinhold Messner, blicken wir zunächst zurück auf den 29. Mai 1953, als der Neuseeländer Edmund Hillary und der Sherpa Tenzing Norgay als erste Menschen den Gipfel des Mount Everest erreichten. Würden Sie sagen, dass dies eine außergewöhnliche Leistung zweier mutiger Bergsteiger war – oder doch eher eine Mannschaftsleistung? 

Es war schon in erster Linie eine britische Teamleistung, denn die Briten haben das Know-how und das Geld gebracht und eine riesige Vorarbeit geleistet. Von 1921 bis 1953 waren viele Expeditionen am Everest gescheitert. Allerdings muss man auch einen Teil des Erfolgs den Schweizern zuschreiben, die 1952 zwei Versuche mit Raymond Lambert gemacht hatten und sehr hoch hinaufgekommen waren. Auch Tenzing Norgay war damals schon dabei. Sonst, glaube ich, hätten es die Briten 1953 nicht geschafft. Aber man darf auch dazu sagen, dass der Gipfelerfolg der Gabe von Hillary zu verdanken ist, es zu wagen. Die Briten haben es ja selbst versucht und sind nicht hinaufgekommen. Und dann hat dieser junge schlaksige Neuseeländer gezeigt, dass er Lust hat und den Mut, es zu wagen, obwohl die anderen gescheitert waren. So ist es gelungen und es bleibt eine Sternstunde des Alpinismus. Dabei war Hillary nicht ein Spitzen-Extrembergsteiger, sondern ein klassischer Bergsteiger, der sehr viel Selbstverständlichkeit in sich trug. Typisch neuseeländisch.  

Der Erstbesteigung folgte die sportliche Phase in den 60er, vor allem aber dann den 70er und 80er Jahren. Neue schwere Routen, der Everest im Winter bestiegen. Und Ihnen gelang 1978 mit Peter Habeler die erste Besteigung ohne Atemmaske und dann 1980 der Alleingang, wieder ohne Flaschensauerstoff, mitten im Monsun. War der Everest für sie damals die ultimative Herausforderung? 

Nach der Durchsteigung der Südwestwand durch Doug Scott und Dougal Haston 1975 war mir klar, dass es nur noch darum geht, mit immer weniger Ausrüstung den Everest zu besteigen. Für mich wurde dann der Everest-Alleingang zum I-Tüpfelchen meiner Bergsteigerei: am höchsten Berg der Welt, in einer schlimmen Jahreszeit, dem Monsun, und so weit möglich noch auf neuer Route, natürlich ohne Sauerstoff. Ich war damals nahe daran zu sagen: ‚Jetzt reicht es mir mit den Achttausendern, höher kann ich eh nicht mehr. Ich gehe in die Antarktis.’ Aber da waren noch ein paar alte Ideen, die eine Fortsetzung des Verzichts-Alpinismus waren. Drei Achttausender hintereinander oder die Doppelüberschreitung. Die jungen Kerle wie Friedl Mutschlechner oder Hans Kammerlander haben gedrängt: ‚Das hast du mal gedacht, und das machen wir jetzt.’ Dann habe ich es organisiert, und wir haben es auch hingekriegt. Erst am Ende kam dann die Möglichkeit, alle 14 Achttausender zu besteigen. Bis 1980 waren sie ja zum Teil noch nicht zugänglich.   

Viel Verkehr auf der Normalroute

In den 90er Jahren begann dann das kommerzielle Bergsteigen am Everest, das bis heute alljährlich das Bild am höchsten Berg der Erde prägt. Wie sehen Sie den Everest heute, 60 Jahre nach der Erstbesteigung? 

Es ist immer noch der gleiche Berg. Der Sauerstoffpartialdruck ist immer noch der gleiche. Er ist auch immer noch relativ gefährlich. Ich nenne die heutige Phase den Pisten-Alpinismus. Das ist der große Unterschied. Bevor die Klienten dieser Reise-Unternehmer mit dem Aufstieg beginnen, steigen nicht nur Dutzende, sondern einhundert Sherpa auf und bereiten einen Klettersteig vor. Er ist besser vorbereitet als jeder Klettersteig in den Alpen. Dann folgen auf dieser Piste die Leute, wobei jede Schwierigkeit ausgeschlossen ist und die Gefahren minimiert werden – nicht auf Null gestellt, das ist nicht möglich.

Jetzt ist die Diskussion aufgekommen, ob man am Hillary Step, der einzig schwierigeren Stelle im oberen Bereich, eine Leiter hinstellen soll, wie seit 1975 auf der Nordseite am Second Step. Ich habe vorgeschlagen, man sollte vielleicht eine Ampel aufstellen wie in der Stadt, so dass man genau weiß, jetzt dürfen die einen hinauf-, die anderen heruntersteigen. Dann müssen sich die Bergsteiger auch an die Straßenverkehrsordnung halten, und es wird weniger Unfälle geben. Die sind nämlich durch das Chaos entstanden, durch das Warten und Herumstehen in der Kälte. Die Leute wurden unterkühlt und sind zum Teil auch da oben gestorben.   

Ich denke, durch diese Entwicklung hat sich auch der Typus der Bergsteiger am Mount Everest gravierend verändert. 

Ja, weil heute viele Leute dort unterwegs sind, die gar keine oder, sagen wir, keine erfahrenen Bergsteiger sind. Die wissen, es sind so viele Leute heraufgestiegen, also ist es möglich. Im Grunde ist der Everest für jeden, der einen leichten Viertausender in den Alpen bestiegen hat, möglich, wenn der Weg präpariert ist. Ich kann Ihnen garantieren, dass von den tausend Leuten, die jetzt dort sind, keine drei Klienten überhaupt losgehen würden, wenn der Berg nicht präpariert wäre. Man hat den Berg in Ketten, in Seile und Leitern gelegt, und deshalb ist er für alle zugänglich. Ob das nun richtig oder nicht richtig ist, ist mir relativ gleichgültig. Es hat mit klassischem Alpinismus nichts zu tun. Die Leute besteigen auch nicht Hillarys Everest und auch nicht meinen, sondern sie besteigen einen anderen Berg, wenn er auch geologisch derselbe ist.  

Wenn Sie dem Everest zum Jubiläum etwas wünschen könnten, was wäre das? 

Ich glaube, es ist zu spät. Der Everest ist inzwischen bereits ein banaler Berg geworden. Das ist schade, aber es gibt immer noch neue Routen zu machen. Es gibt immer noch die Möglichkeit, zusammenhängend Everest und Lhotse zu überschreiten. Zur Zeit sind zwei sehr gute Leute vor Ort (Denis Urubko und Alexei Bolotov), die versuchen, eine Südwestwand-Route zu klettern, rechts der Linie von Scott und Haston. Das ist sehr schwierig im oberen Teil. Wenn das im Alpenstil gelingt, bin ich der erste, der gratuliert – obwohl sie auf den viel berannten Everest kommen.

Ich glaube nicht, dass wir dem Everest jemals noch das Flair zurückgeben können, das er gehabt hat. Die besten Kletterer gehen generell nicht mehr zu den Achttausendern, sondern zu den schwierigsten Bergen der Welt, zu Sechs- oder Siebentausendern. Die haben alle Spielfelder offen. Aber es ist natürlich schade, dass die wirklich guten Leute weniger Möglichkeiten haben, ihre Expeditionen zu finanzieren, wenn so viel Aufmerksamkeit von den Everest-Touristen weggenommen wird. 

Machen Sie inzwischen einen Bogen um den Everest oder zieht es Sie doch noch dahin, mit all ihrer persönlichen Geschichte, die Sie mit diesem Berg verbinden? 

Ich bin nicht alle Jahre Everest-hungrig. Ich werde heuer dort sein, weil ich eine Dokumentation für das europäische Fernsehen machen soll. Ich werde nicht nur das Basislager besuchen, sondern mir das auch von oben anschauen. Nicht indem ich hinaufsteige, sondern indem wir diese riesigen Gruppen verfolgen.

Ich möchte dort nicht ungern auch mal eine konkrete Probe machen, wie es mit den Drogen steht. Ich bin gespannt, ob jemand den Urin abgeben will. Es gibt ja Aussagen, dass am Everest das Doping sozusagen auf Universitätshöhe wäre im Verhältnis zum Kindergarten Tour de France. So weit gehe ich nicht, aber dort misst niemand, ob jemand gedopt ist. Wir wissen ja heute, dass es im normalen Sport vor allem die Laien sind, die dopen, um ein bisschen schneller zu sein als im Vorjahr oder schneller auf den Everest zu steigen als seine eigene Sekretärin.

Mein Interesse seit langer Zeit ist die psychologische Sicht. Wie ticken wir? Ich nehme mich da nicht aus. Auch für mich war der Everest-Gipfel ein Fluchtpunkt der Eitelkeit. Mit dem Everest sind halt so viele Bilder, auch Klischees verbindbar. Ich habe für alle Verständnis, die auf den Everest hinauf wollen. Sie sollten nur den Mut haben, es genauso zu beschreiben, wie es ist, und es nicht nachher zu verfälschen – etwa indem man sich am Gipfel allein fotografieren lässt und die anderen 50 Leute werden aus dem Bild gestellt. Und dann tut man so, als wenn man allein oben gewesen wäre.

Oder man spricht vom Alpinstil, wenn die Leute auf dieser Piste hinaufsteigen. Das ist gar nicht möglich. Auch wenn jemand möchte und die Seile nicht anfasst, ist es nicht Alpinstil, weil die Seile da sind. Das hat vor allem mit der psychologischen Seite zu tun. Ich habe eine ganz andere Angst, wenn ich mutterseelenallein im Gipfelbereich des Everest bin und weiß, unter mir ist nichts, kein Sherpa, kein Zelt, kein Seil. Wenn ein Eisturm zusammenbricht, finde ich nicht mehr hinunter. Wenn ich weiß, die ganze Piste ist präpariert und bleibt unter Aufsicht von Spezialisten, eben der Sherpas, dann bin ich da oben viel weniger exponiert als ich es sonst wäre. Und die Exposition ist im Grunde der Schlüssel, der ein sportliches Tun zu einem Abenteuer macht.

Datum

6. Mai 2013 | 15:59

Teilen