Huberbuam zur Nordwand des Latok I
Leverkusen ist ein Vorort von Köln. Das empfinden nicht nur viele Kölner so (mich eingeschlossen, wobei ich entschuldigt bin, weil jener Geburts(vor)ort gleichzeitig mein einziger Geburtsfehler ist), sondern offenbar auch Alexander Huber. Als ich den Extrembergsteiger vor seinem Vortrag in Leverkusen treffe und frage, ob er mit der bergfreien Umgebung und der dicken Luft auf 50 Meter Meereshöhe klar komme, antwortet er, dass ihm Köln wohlbekannt sei und er immer wieder gerne dort zu Gast sei. Alexander ist mit 45 Jahren der jüngere der beiden Huberbuam. Der Diplomphysiker war 2013 im Gegensatz zu seinem 47 Jahre alten Bruder Thomas nicht auf Expedition. Stattdessen sorgte sein Buch „Die Angst, dein bester Freund“ für Aufsehen, in dem sich Alexander Huber offener als wohl alle Bergsteiger zuvor zu seinen Ängsten bekennt. Bei unserem Gespräch im „Kölner Vorort“ verrät er, dass die Huberbuam bald wieder gemeinsam losziehen werden.
Alexander, wann erleben wir dich mal wieder auf Expedition?
Die nächste Expedition steht bald an. Mitte Juni geht es in den Karakorum. Schauen wir mal, was passieren wird.
Lässt du die Katze aus dem Sack?
Wir gehen zur Nordwand des Latok I (mit 7145 Metern der höchste Gipfel der Latok-Gruppe). Das Projekt ist bereits relativ oft von richtig guten Alpinisten versucht worden. Bisher hat sich die Wand vehement gewehrt. Wir brauchen jede Menge Glück, um dort Erfolg zu haben. Aber meine Güte, wenn man es nicht versucht, dann kann man es nicht schaffen.
Alexander Huber über das Projekt Latok 1
Habt ihr noch weitere Bergsteiger im Team?
Mit dabei sind noch der Osttiroler Mario Walder und der Schweizer Dani Arnold, der bekannt ist für seine technische und konditionelle Stärke. Genau das braucht man auch, ein starkes Team, das gut zusammenpasst.
Du hast ja gewissermaßen ein Sabbatjahr eingelegt, fühlst du dich topfit?
Wie kommst du darauf, dass ich ein Sabbatjahr hatte?
Weil du seit 2012 auf Baffin Island nicht mehr auf Expedition warst, oder täusche ich mich da?
Letztes Jahr hatten wir eigentlich das Ziel, eine neue Route am Freney-Pfeiler (am Mont Blanc) frei zu klettern. Dann ist Thomas relativ kurzfristig nach Patagonien abgereist, und ich habe dann tatsächlich so etwas wie ein Partnerproblem gehabt. Ich habe einfach keinen Partner gefunden, der stark genug war, um dieses Projekt zu Ende zu bringen. Man braucht halt zum richtigen Zeitpunkt nicht nur die richtige Form, sondern auch die richtigen Leute, weil man, wenn man nicht gerade free solo klettert, in Seilschaft unterwegs ist.
Apropos, du bist ja inzwischen auch Familienvater, hast drei kleine Kinder. Bedeutet dies das Ende deiner Free-Solo-Projekte?
Das kann ich nicht sicher sagen. Was ich in Zukunft mache, hängt wenig von der Tatsache ab, dass ich eine Familie habe. Ich weiß nicht, ob ich nicht doch noch einmal ein Free-Solo-Projekt realisiere. Was ich weiß, ist, dass wir jetzt unser Nordwand-Projekt am Siebentausender Latok I im Karakorum angehen. Mal schauen, was dabei herauskommt. Was danach folgt, hängt davon ab, wie es uns dort ergehen wird.
Der Karakorum liegt in Pakistan. Verspürt ihr angesichts der politischen Lage ein Bauchgrummeln, wenn ihr daran denkt, dorthin zu fahren?
Es ist natürlich schon so, dass die politische Lage alles andere als lustig ist und für uns auch ein Problem darstellt. Man ist schon bei der Anreise sehr eingeschränkt. Man kann sich gar nicht mehr offen zeigen, weil Touristen durchaus die Zielscheibe der Taliban sind. Das einzige Gebiet, in dem wir uns sicher fühlen, ist Baltistan selbst. Wenn wir in Skardu gelandet sind, befinden wir uns in einem reinen Schiiten-Gebiet. Die Baltis sind Schiiten, die Hunzas Ismaeliten, sie haben mit den Taliban herzlich wenig gemein. Deshalb ist es ein Taliban-sicheres Gebiet, während es zum Beispiel der Nanga Parbat gar nicht ist.
Alexander Huber über die Lage in Pakistan
Wenn man dich im vergangenen halben Jahr gegoogelt hat, beschlich einen das Gefühl, du seist zum Angst-Experten geworden. Hast du mit deinem Buch über Angst ein Tabu gebrochen, indem du dich als Bergsteiger so intensiv mit diesem Thema auseinandergesetzt hast?
Das ist meine eigene Erfahrung, die ich in meinem Leben mit Angst gemacht habe. Und eben nicht nur am Berg, wo die Angst sowieso mein bester Freund ist, weil sie mein Überleben sichert, sondern auch im alltäglichen Leben. Ich habe eine Angsterkrankung so weit durchlebt, dass ich aus meiner Sicht behandlungsbedürftig war. Und ich bin mir selbst dankbar, dass ich irgendwann den Schritt gemacht habe, aktiv Hilfe zu suchen. Das war tatsächlich der Weg zur Besserung. Wenn du vor der Angst davonläufst, wird sie zu deinem größten Feind. Wenn man sich dagegen der Angst stellt, kann man sie sich zum Freund machen. Das hat mich dazu gebracht, dem Buch den entsprechenden Titel zu geben. So gesehen ist „Die Angst, dein bester Freund“ als Titel keine Provokation, sondern absolut ernst gemeint.
Hast du auch Reaktionen aus der Bergsteiger-Szene bekommen? Bergsteiger treten ja oft auf, als wollten sie sagen: Wir sind verwegene Gesellen, wir haben keine Angst.
Das ist grundverkehrt. Der Bergsteiger muss natürlich Angst haben. Wenn er keine Angst hat, wird er nicht mehr lange am Berg unterwegs sein.
Aber er bekennt sich in der Regel nicht dazu.
Das ist sicher ein Tenor meines Buchs, der einiges in der Szene verändert hat. Aber sonst ist von dort wenig Rückmeldung gekommen, viel mehr dagegen aus dem normalen Lebensbereich. Viele Menschen, die zu meinen Vorträgen kommen, sagen mir, dass mein Buch ihnen nicht nur Hoffnung gibt, sondern auch ein guter Wegweiser im Leben sein kann.
Du bist jetzt 45 Jahre alt. Da geraten viele Männer in die Midlife-Crisis. Hat man das als Extrembergsteiger nicht?
Als Sportler befasst man sich schon wesentlich früher mit der Midlife-Crisis, weil die körperliche Kraft schon viel früher nachlässt als mit 45. Mir ist ja ohnehin klar, dass ich nicht weiter Bergsteiger auf Weltspitzenniveau sein kann. Es mag sein, dass mir noch einige besondere Aktionen gelingen, aber nicht auf Grund der schieren Kraft, die ich habe – das liegt schon weit in der Vergangenheit – , sondern durch ein gewisses taktisches Gefühl, durch Erfahrung, durch mentale Kraft, die sehr wichtig ist. Mei, es mag sein, dass mir noch das eine oder andere gelingt, aber es ist ja auch kein Muss.