Luis, last minute
Achttausender-Bergsteigern geht es nicht anders als normalen Reisenden. Kurz vor der Abreise knubbeln sich die Termine. Beruflich müssen noch die Weichen für die lange Abwesenheit gestellt werden. Dazu gesellen sich private Verpflichtungen und, nicht zu vergessen, die Vorbereitungen für das bevorstehende Projekt. Das geht auch Luis Stitzinger so. Unsere Wege kreuzen sich am Wochenende in Oberstdorf, einen Tag vor Luis‘ Abreise nach Nepal. Dort will sich der 45-Jährige mit seiner Frau Alix von Melle erneut am Makalu versuchen, dem mit 8485 Metern fünfthöchsten Berg der Erde. 2010 hatten die beiden auf 8050 Metern bei Temperaturen von minus 45 Grad Celsius umkehren müssen. Sechs Achttausender hat das Bergsteiger-Ehepaar bereits auf dem Konto: Cho Oyu, Gasherbrum II, Nanga Parbat, Dhaulagiri, Broad Peak und Shishapangma. Alle haben sie ohne Flaschensauerstoff bestiegen. Die 43 Jahre alte Alix ist damit die erfolgreichste deutsche Frau an den höchsten Bergen der Welt.
Luis, jetzt geht es bald los zum Makalu. Schon Lampenfieber?
Lampenfieber nicht mehr, dazu sind wir schon zu oft weggefahren, aber natürlich ist man irgendwo aufgeregt und freut sich drauf. Die Vorbereitungen ziehen sich immer endlos in die Länge. Wenn es dann endlich losgeht, ist das wie eine Feder, die losgelassen wird. Wir freuen uns.
Das ist ja bereits euer zweiter Versuch am Makalu. Fahrt ihr mit einer anderen Einstellung hin?
Ja, ich denke schon, dass es anders ist. Wir haben bisher keinen Berg zweimal versucht, auch nicht die, bei denen wir nicht den Gipfel erreicht haben. Das ist eigentlich das erste Mal, dass wir es das zweite Mal versuchen wollen. Wir sind da schon ein bisschen vorbelastet.
In welcher Hinsicht?
Wir haben einfach das letzte Mal noch im Kopf, und es ist auch ein bisschen mehr Druck da.
Macht ihr denn irgendetwas anders als beim letzten Mal?
Zum einen sind wir personell anders besetzt. Es kommt noch ein Freund mit, Florian Hübschenberger aus Freilassing, der auch schon am Nanga Parbat mit dabei war. Wir sind also jetzt zu dritt. Außerdem wollen wir in dieser Konstellation vielleicht noch eine andere Routenführung probieren. Aber vom generellen Procedere ist es sowieso nie ganz gleich. Das Wetter ist anders, die Verhältnisse auch. Deshalb wird auch der Zeitplan immer etwas anders aussehen müssen.
Wie viel Zeit habt ihr?
Wir haben maximal zwei Monate Zeit für die gesamte Reise. Das ist üppig gesteckt. Wenn es ein bisschen kürzer dauert, soll es uns auch recht sein.
Ihr seid ja meistens auf den Normalwegen unterwegs, ist das jetzt auch so? Du deutetest eben an, dass ihr vielleicht eine andere Route wählt.
Wir sind auf dem Normalweg unterwegs, aber haben vor, in der zweiten Routenhälfte eventuell eine Variante zu versuchen. Wir müssen aber sehen, wie die Verhältnisse sind. Erst dann werden wir entscheiden, ob wir es wirklich versuchen wollen.
2013 hat es nur wenige erfolgreiche Besteigungen gegeben, der Makalu hat sich in den letzten Jahren recht widerborstig präsentiert. Wie groß siehst du eure Chance, den Gipfel zu erreichen?
Es ist immer schwer, das in Zahlen auszudrücken. Ich sage immer, die Chancen stehen fifty-fifty. Als wir das letzte Mal am Makalu waren, hat es die ganze Zeit super ausgesehen, die Verhältnisse waren gut, das Wetter hat auf den ersten Blick immer sehr schön gewirkt. Aber an diesen hohen Bergen genügt ein einziger Faktor – damals war es halt der anhaltende Jetstream, der über Wochen über dem Himalaya geparkt hatte – , der verhindert, dass man in die Höhe vordringen kann. Und dann sitzt man bei schönstem, sonnigen Wetter im Basislager, dreht Däumchen und kann nichts unternehmen.
Luis Stitzinger: Chance steht fifty-fifty
In diesem Jahr hat die nepalesische Regierung am Mount Everest jede Menge neue Vorschriften erlassen. So gibt es jetzt einen Wachposten im Basislager als Schlichtungsstelle. Außerdem muss jeder Bergsteiger acht Kilo Müll vom Berg herunterbringen. Gibt es ähnliche Vorschriften am Makalu?
Der Everest ist einfach ein Hotspot, da trifft sich der internationale Bergtourismus. Im Verhältnis dazu ist der Makalu sehr selten besucht. Wir haben erfahren, dass in diesem Jahr einige weitere Bergsteiger auf dem Weg dorthin sind, aber es ist im Vergleich zum Everest nur ein Bruchteil des Aufkommens. Der Makalu ist nach wie vor ein relativ einsamer Berg, dahin verirrt sich in der Regel nicht mal ein Verbindungsoffizier, weil er keine Lust hat, den langen Zustieg auf sich zu nehmen. Da ist man meistens ganz für sich.
Luis Stitzinger: Makalu ist ein einsamer Berg
Werdet ihr euch mit den anderen Expeditionen kurzschließen, damit ihr euch die Arbeit teilt oder wollt ihr vollkommen autark agieren?
Man tut sich immer zusammen und spricht sich ab. Wir kennen viele der anderen, die dort sein werden. Mit einigen waren wir früher schon mal am Berg unterwegs. Ich kenne auch die Veranstalter. Da wird man immer versuchen, an einem Strang zu ziehen. Aber wir haben eigentlich schon vor, ganz autark und für uns an der Route unterwegs zu sein und auch nicht zu warten, bis alle Fixseil-Strecken aufgebaut sind und dann „nachjümarn“ (sich mit Steigklemmen hochziehen). Wir wollen das schon in einem recht eigenständigen Stil abwickeln.
Das wäre euer siebter Achttausender. Geht ihr anders an das Projekt heran als bei den ersten Versuchen?
Ich denke schon, dass sich so etwas wie Routine einstellt oder zumindest eine gewisse Erfahrung. Bei den ersten Unternehmungen ist man doch noch sehr unsicher. Wenn der erste Achttausender geklappt hat, fragt man sich beim zweiten: War das jetzt ein Glücksfall oder haben wir alles richtig gemacht? Aber wenn man ein paar erfolgreich bestiegen hat, zeichnet sich doch ab, dass gewisse Systeme Sinn machen, und darauf kann man dann vertrauen.
Der Makalu wäre euer bisher höchster Achttausender.
Ja, bisher haben wir eher die niedrigen Achttausender bestiegen. Der höchste war bislang für uns beide der Cho Oyu mit 8201 Metern. Das wäre jetzt noch einmal ein Sprung um 300 Höhenmeter, also im Bereich der oberen Hälfte der Achttausender.
Ihr verzichtet auf Flaschensauerstoff. Damit bewegt ihr euch an den höheren Achttausendern auch in einer anderen Liga.
Definitiv. Wir wollen unbedingt ohne Flaschensauerstoff herauf. Wir würden eher umdrehen, wenn wir merken, dass wir es nicht schaffen. Aber weil wir alle unsere Ziele ohne Atemmaske erreichen wollen, dienen wir uns sehr vorsichtig höher. Manch anderer hat den Gasherbrum II bestiegen, geht dann direkt zum Mount Everest und versucht es unter Umständen vielleicht sogar ohne Flaschensauerstoff. Uns wäre das zu riskant. Wir wissen aus eigener Erfahrung, dass jede 100 Meter in dieser Höhe noch einmal eine andere Liga bedeuten. Zwischen einem Berg, der 8500 Meter hoch ist, und einem, der gerade oberhalb der 8000-Meter-Marke kratzt, besteht ein großer Unterschied. Wir steigern uns sehr vorsichtig, weil man ohne Flaschensauerstoff relativ wenige Sicherheitsreserven hat.
Luis Stitzinger: Vorsichtig steigern
Alix und du seid dort oben als Paar unterwegs. Habt ihr ausdiskutiert, was passiert, wenn einen von euch in großer Höhe die Kräfte verlassen?
Klar haben wir darüber gesprochen. Deshalb fühlen wir uns jetzt auch in der Konstellation zu dritt wesentlich wohler. Mit einem Helfer kann man nicht viel zuwege bringen, zu zweit sieht das schon besser aus. Da kann man schon einer Person, die entkräftet ist, herunter helfen. Das funktioniert, wenn sich die anderen beiden noch wohl fühlen. Das ist schon ein Sicherheitsfaktor. Aber wenn man keinen Sauerstoff mitnimmt – wir werden wegen des Gewichts auch keine Flaschen für medizinische Notfälle in die Hochlager tragen – , dann hat man nur begrenzte Sicherheitsreserven zur Verfügung. Das ist ganz klar.