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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Rupert Hauer: Rettung geht vor Gipfel

Rupert Hauer auf der Nordseite des Everest

Rupert Hauer auf der Nordseite des Everest

Dünne Luft muss oft herhalten, um dünne Moral zu rechtfertigen. Gerade in der Gipfelregion des Mount Everest halten es viele Bergsteiger für selbstverständlich, im übertragenen und auch wörtlichen Sinne über Leichen zu gehen. Rupert Hauer bewies im Mai 2013, dass es auch anders geht. Der Österreicher hatte zuvor mit den Deutschen Alix von Melle und Luis Stitzinger die Shishapangma bestiegen. Es war sein dritter Achttausender nach dem Dhauligiri 2009 und dem Cho Oyu 2010. Jetzt wollte Rupert den Everest über die tibetische Normalroute besteigen, ohne Flaschensauerstoff. Am Third Step, der Felsstufe am Nordgrat auf 8700 Metern, an der letzten Hürde vor dem Gipfel, begegnete er dem US-Amerikaner Ruben Payan, der auf dem Rückweg war, schneeblind, hilflos. „Ich habe keine Sekunde gezögert“, erzählte später der Alpinpolizist aus Salzburg, der auch als Bergführer und Bergretter unterwegs ist. Zusammen mit Payans Sherpa geleitete Hauer den US-Bergsteiger über sechs Stunden lang hinunter zum letzten Lager auf 8300 Metern. Payan überlebte. Rupert bezahlt seine selbstlose Rettungsaktion nicht nur mit der verpassten Gipfelchance, sondern auch mit schweren Erfrierungen an der Nase.

2015 wird der 45-Jährige zum Everest zurückkehren, als Leiter einer kommerziellen Expedition, deren Ausschreibung in Deutschland für viel Wirbel sorgte. Angeboten wird sie vom DAV Summit Club, dem kommerziellen Ableger des Deutschen Alpenvereins. Kritiker werfen dem DAV vor, seine eigenen Grundsätze zu verraten. Ich habe Rupert Hauer einige Fragen zum Mount Everest geschickt – die meisten vor dem Lawinenunglück auf der Südseite, die ersten beiden hinterher. Ein Interview in zwei Teilen, die trotzdem zusammenpassen.

Am Gipfel der Shishapangma - mit Tunc Findik (l.)

Am Gipfel der Shishapangma – mit Tunc Findik (l.)

Rupert, eine Lawine im Khumbu-Eisbruch auf der Südseite des Mount Everest hat in der vergangenen Woche 16 Nepalesen das Leben gekostet. War es aus deiner Sicht ein Schicksalsschlag, der an den höchsten Bergen immer möglich ist, oder eine Tragödie, die hätte vermieden werden können?

Der Khumbu Eisbruch gilt als gefährlichste Passage auf dem Weg zum Everest von Süden. Es brechen jedes Jahr Seracs zusammen und gehen als Eislawinen nieder. Man kann dieser Gefahr nicht ausweichen. Die Sherpa und Träger müssen diese Passagen öfter begehen als die Bergsteiger. Es kommt jedes Jahr zu Unfällen im Khumbu-Eisbruch. Das ist nichts Neues. Das dieses Mal 16 Sherpas ihr Leben lassen mussten, ist natürlich sehr tragisch. Eine Eislawine löst sich ohne Vorankündigung, der Zeitpunkt eines Abgangs ist sehr schwer bis gar nicht einzuschätzen. Wenn man diese Passage begeht, muss man damit rechnen, dass es zu einem Unfall kommen kann. In diesem Fall war es natürlich Schicksal, dass sich gerade eine große Gruppe Sherpas in diesem Bereich aufgehalten hat.

Die Gefahr eines derartigen Unfalls ist jedem bekannt, der dorthin geht. 8000er-Bergsteigen ist sicher mit mehr Risiko behaftet als Bergsteigen bei uns in den Alpen. Wenn man von der Südseite den Everest besteigen will, muss man diesen Abschnitt durchsteigen.

Hältst du es für sinnvoll, die gesamte Saison auf der Südseite aus Respekt vor den Lawinentoten abzublasen?

Das ist eine sehr schwierige Frage. Ich glaube, man sollte die Sherpas entscheiden lassen, ob sie in dieser Saison weiterhin am Berg arbeiten wollen. Deren Entscheidung sollte man dann auf alle Fälle akzeptieren. Die Unfallstelle muss ja im Aufstieg immer wieder begangen werden. Es ist zu hoffen, dass die Bergsteiger und deren Agenturen nicht zu viel Druck auf die Sherpas ausüben. Diese sollten auf alle Fälle die Möglichkeit bekommen, eine für sie vertretbare Entscheidung zu treffen. Wenn die Sherpas in dieser Saison nicht mehr aufsteigen, dann hat sich die Frage für die Bergsteiger so gut wie erledigt.

Du warst 2013 auf der Nordseite unterwegs. Wie war es um das bergsteigerische Können der Gipfelaspiranten bestellt?

Es ist schwierig, das zu beurteilen. Vom Einstieg in die Eisflanke, die zum Nordsattel führt, bis zum Gipfel ist ein Fixseil gespannt. Über den Second Step führt eine Leiter. Bergsteigerisches Können ist also in diesem Fall nicht ausschlaggebend für eine erfolgreiche Besteigung. Vielmehr kämpfen die Leute mit der Logistik am Berg. Sauerstoff, Wetterbericht, Hochlager … Die Bergsteiger, die ohne kommerziellen Anbieter unterwegs sind, verlassen sich in diesem Fall komplett auf die ihnen von den nepalesischen Agenturen zugewiesenen Sherpas. Diese waren 2013 teilweise sehr jung, hatten relativ wenig Erfahrung an hohen Bergen. Auch die Möglichkeiten, an einen aussagekräftigen Wetterbericht zu kommen, sind begrenzt. Es wird dabei auch nicht im Team gearbeitet, sondern es konzentriert sich jeder Bergsteiger mit seinem Sherpa auf den eigenen persönlichen Erfolg.

Aufstieg zum Nordsattel

Aufstieg zum Nordsattel

Du hast im vergangenen Jahr auf den Gipfel verzichtet, um einen in Not geratenen Bergsteiger aus 8700 Meter Höhe in Sicherheit zu bringen. Ist deine Einstellung „Rettung geht vor Gipfel“ immer noch eher die Ausnahme am Everest?

Ja, und zwar nicht nur am Everest. Auch auf anderen hohen Bergen kommt es immer wieder zu Zwischenfällen. Dazu muss man aber auch anmerken, dass Bergsteiger, die mit künstlichem Sauerstoff unterwegs sind, zeitlichen Einschränkungen unterliegen und deshalb auch oft nicht mehr in der Lage sind zu helfen.

Die nepalesische Regierung hat mehrere neue Regeln für den höchsten Berg der Erde aufgestellt. So gibt es jetzt einen Wachposten im Basislager, der gleichzeitig Schiedsstelle bei möglichen Konflikten zwischen Sherpas und westlichen Bergsteigern sein soll. Was hältst du davon?

Ich kann dazu relativ wenig sagen. Auf der Nordseite gab es absolut kein Problem zwischen Bergsteigern und Sherpas. Es sind natürlich auch nicht so viele Bergsteiger auf dieser Route unterwegs (Verhältnis 1:8). Deshalb kommt es auch nicht zu solchen Auseinandersetzungen. Natürlich habe auch ich von den Vorfällen auf der Südseite Kenntnis erlangt. Ich denke, dass der gegenseitige Respekt einfach verloren geht. Die Bergsteiger denken nur noch an den persönlichen Erfolg (der mit viel Geld und sehr viel Zeitaufwand verbunden ist), und die Sherpas glauben sehr oft, dass niemand ohne ihre Hilfe den Gipfel erreicht. Auch die Sherpas müssen akzeptieren, dass es westliche Bergsteiger gibt, die zu außergewöhnlichen Leistungen im Stande sind.

Jeder Bergsteiger soll jetzt mindestens acht Kilo Müll vom Berg mit herunterbringen. Findest du das sinnvoll und wenn ja, würde es auch auf der Nordseite Sinn machen?

Ich kann mir nicht vorstellen, dass viele Bergsteiger in der Lage sind, zusätzlich acht Kilo Müll vom Berg zu schleppen. Es werden dann vermutlich weitere Sherpas hinaufgeschickt, um dies zu erledigen. Dies würde auch den Preis weiter in die Höhe treiben. So wie ich das auf der Nordseite erlebt habe, kümmert sich nach dem Gipfelerfolg kein Bergsteiger um das Müllproblem. Die Sauerstoffflaschen werden von den Sherpas wieder ins Basislager gebracht, um das Pfand bei der Rückgabe zu kassieren. Im Endeffekt ist das also wieder Arbeit für die Sherpas.

Derzeit gibt es meiner Ansicht nach auf der Nordseite kein Müllproblem. Es war nicht mehr Müll in den Hochlagern (ausgenommen der zerfetzten Zelte) als auf anderen Achttausendern. Auch auf der Shishapangma oder am Dhaulagiri bleiben immer wieder Zelte und Ausrüstungsgegenstände zurück.

2015 sollst du eine Everest-Expedition des DAV Summit Club leiten. Der hat sich einiges an Kritik anhören müssen, weil er den Everest in sein kommerzielles Expeditionsangebot aufgenommen hat. Hat dich die Aufregung überrascht?

Überrascht hat mich die Aufregung nicht. Es wird einfach zu viel Negatives über kommerzielle Expeditionen berichtet. Ich bin der Meinung, dass es für Everest-Aspiranten sicherer und auch erfolgversprechender ist, wenn sie mit einer professionell arbeitenden Agentur unterwegs sein können. Im Vorjahr konnte ich selbstständig agierende Bergsteiger und eine kommerzielle Gruppe vergleichen. Die kommerzielle Expedition führte die Besteigung unter Anleitung eines erfahrenen Expeditionsleiters durch. Dadurch erfolgte die Besteigung auch in einer Gruppe. Alle Teilnehmer mit ihren Sherpas waren untereinander mit Funk in Verbindung, konnten auf Probleme sofort reagieren und wurden auch vom  Expeditionsleiter ständig beobachtet und mit aktuellem Wetterbericht versorgt. Ich bin der Meinung, dass auch die Kameradschaft in einer derartigen Gruppe mehr gelebt wird.

Rupert an der Shishapangma

Rupert an der Shishapangma

Ralf Dujmovits, der lange Zeit kommerzielle Expeditionen veranstaltet hat, nahm die hohen Achttausender aus seinem Angebot heraus. Seine Begründung damals: Ein Bergführer sei am Everest selbst so sehr am Limit und mit sich selbst beschäftigt, dass er kaum seine Pflichten gegenüber den Kunden erfüllen könne. Wie siehst du das?

Auch die von Dujmovits verkaufte Agentur bietet nun wieder den Everest an. Ich bin der Meinung, dass der Everest unter Verwendung von künstlichem Sauerstoff nicht gefährlicher ist als andere 8000er Gipfel (die ja großteils ohne künstlichen Sauerstoff bestiegen werden). Es sollten einfach im Vorfeld von Expeditionen (egal zu welchen Bergen) die Teilnehmer verpflichtet werden, gewisse Ausbildungen vorzuweisen. Ein verpflichtender Vorbereitungskurs, bei dem  erfahrene Expeditionsleiter die Teilnehmer in den Basics schulen können, wäre schon ein erster Schritt in die richtige Richtung. Natürlich gehört auch das schrittweise Herantasten an die ganz hohen Berge dazu.

Wirst du deine eigenen Gipfelambitionen am Everest 2015 völlig zurückstellen, wenn du in die Rolle des Expeditionsleiters schlüpfst?

Ich habe bislang immer versucht, so vielen Teilnehmer wie möglich eine Gipfelchance zu ermöglichen. Natürlich ist das Erreichen des Gipfels ein Wunsch jedes Bergsteigers, ansonsten würde er ja nicht die Zeit und das viele Geld investieren. Wenn mir eine Gruppe anvertraut wird, ist mein oberstes Ziel, diese nach bestem Wissen und Gewissen zu betreuen. Sollte ein Umkehren notwendig werden, stelle ich die eigenen Gipfelambitionen zurück. Der Besteigungsversuch im Vorjahr war für mich eine sehr wichtige Erfahrung. Es ist gut zu wissen, dass einem der Gipfel zwar sehr wichtig ist (sonst wär ich ja nicht hingefahren), ich einem Gipfelsieg aber nicht alles unterordne. Ich habe bereits einige Expeditionen geleitet. Dabei habe ich auch immer den Gipfel mit Teilnehmern erreicht.

Datum

24. April 2014 | 4:00

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