Everest-Boykott oder weitermachen?
Ein Krisentreffen jagt das andere, sowohl im Basislager auf 5300 Meter Höhe, zu Füßen des Mount Everest, als auch am Sitz der nepalesischen Regierung in Kathmandu. Noch ist unklar, ob es in diesem Frühjahr überhaupt Versuche geben wird, über die nepalesische Südseite den höchsten Berg der Erde zu besteigen. „Die meisten Teams verlassen das Basislager. Sie haben Angst, dass wieder etwas passiert (hier gehen weiterhin viele Lawinen runter), aber auch, dass andere Sherpas sie bestrafen, wenn sie weitermachen“, schreibt NDR-Reporterin Juliane Möcklinghoff, die den blinden österreichischen Kletterer Andy Holzer begleitet, heute in ihrem Everest-Tagebuch. „Es hat einige Treffen zwischen verschiedenen Teamleitern, Sirdars und Sherpas gegeben, aber es bleibt unklar, wie letztlich die Entscheidung ausfallen wird“, meint Eric Simonson vom Expeditionsveranstalter International Mountain Guides (IMG). Seit dem Lawinenunglück im Khumbu-Eisbruch am Karfreitag, bei dem 16 Nepalesen ums Leben kamen, ruhen alle Aktivitäten am Berg.
Furcht vor finanzieller Not
Unter den Sherpas wird derweil heftig diskutiert. „Die Mehrheit würde lieber nicht zum Berg zurückkehren, weil eine überwältigende Trauer über den Verlust so vieler Mitglieder ihrer eng verbundenen Gemeinschaft herrscht. Das ist das Gefühl, dass die jüngeren Sherpas bei den Versammlungen lautstark zum Ausdruck bringen“, beschreibt David Hamilton, Expeditionsleiter des britischen Jagged-Globe-Teams die Atmosphäre. „Die älteren Sherpas sind sich jedoch bewusst, dass viele der Climbing Sherpas ohne die Löhne der Frühjahrssaison im kommenden Jahr in finanzielle Not geraten.“ Hochträger können in einer Klettersaison am Mount Everest rund 5000 US-Dollar verdienen, Climbing Sherpas, die zahlende Kunden bis auf den 8850 Meter hohen Gipfel führen und dafür Extraprämien kassieren, sogar bis zu 10.000 Dollar.
Einige Forderungen erfüllt
„In ein oder zwei Tagen werden die Kletteraktivitäten sicher wieder aufgenommen“, versucht Madhu Sudhan Burlakoti vom nepalesischen Tourismusministerium, Optimismus zu verbreiten. Die Regierung ist inzwischen auf einige Forderungen der Sherpas eingegangen. So will sie einen Hilfsfond für Opfer von Bergunfällen und deren Familien einrichten, in den auch ein Teil der Besteigungsgebühren einfließen soll. Außerdem soll die Versicherungssumme für Sherpas, die im Todesfall ausgezahlt wird, von einer Million auf 1,5 Million Rupien (rund 11.000 Euro) erhöht werden.
Transportflüge mit dem Heli?
Das reicht den Sherpas im Basislager offenbar noch nicht. Die Regierung kündigte an, eine hochrangige Delegation zum Everest zu schicken, um am Donnerstag vor Ort weiter zu verhandeln. Das Tourismusministerium überdenkt nach eigenen Angaben auch sein Verbot von Hubschrauber-Transportflügen oberhalb des Basislagers. Bisher sind nur Rettungsflüge erlaubt. Die Nepalesen, die von der Lawine verschüttet worden waren, hatten Material und Lebensmittel in die Hochlager bringen sollen. Doch auch ohne schwere Last hätten sie wahrscheinlich kaum eine Chance gehabt, den tödlichen Eismassen zu entkommen. „Die Verhältnisse am Berg haben sich in den letzten drei Jahren durch die globale Erwärmung rapide verschlechtert, der Verfall im Khumbu-Eisbruch ist dramatisch, besonders im oberen Bereich“, berichtet Tim Rippel von Peak Freaks Expeditions. „Tag für Tag sitzen wir hier und hören, wie der Gletscher ächzt und zusammenbricht. Politische Missstände einmal beiseite gelassen, wir sind nicht hier, um Menschen zu töten.“