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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Zurück vom Berg

Spuren hinterlassen

Spuren hinterlassen

Nach dem Oben-Sein das Unten-Sein genießen – das gehört zu Bergabenteuern dazu. Wir haben es geschafft, den Großteil unseres Gepäcks aus den Hochlagern abzutransportieren. Wir alle werden die kommende Nacht im Basislager verbringen. Das ist einfach ein Plus an Lebensqualität, vergleichbar einem Einzelzimmer im Hotel. Ich glaube, das kann nur verstehen, wer schon einmal an einer Expedition teilgenommen hat. Wenn du dein großes Ziel erreicht hast, willst du nur noch zurück. Als ich heute morgen meinen Rucksack für den Abstieg aus Lager 2 auf 6300 Metern gepackt habe, steht mein Entschluss fest: Ich will keine Nacht mehr in Lager 1 auf 5500 Metern verbringen. Ich will nur noch herunter vom Berg, egal wie schwer der Rucksack auf meinen Schultern lastet.

Nur noch herunter

Lager 2 ist abgebaut

Lager 2 ist abgebaut

Den anderen Teammitgliedern geht es genauso. Selbst wenn es nicht gelingen sollte, alles Material in einem Rutsch abzutransportieren, eine weitere Übernachtung im Hochlager ist keine Option. Zur Not werden wir noch einmal aufsteigen, um unser Restgepäck abzuholen. Aber wirklich nur zur Not. Erst wenn das große Ziel erreicht ist, in unserem Fall die Erstbesteigung des 7129 Meter hohen Kokodak Dome, merkst du, wie sehr du in den vergangenen Tagen an dein persönliches Leistungslimit gegangen bist. Oder sogar darüber hinaus. Als ich heute zunächst von Lager 2 durch weichen Schnee nach Lager 1 absteige, fühle ich mich einfach nur schwach. In den Tagen des Aufstiegs habe ich daran gar nicht gedacht. Das Ziel trieb mich hoch. Aber jetzt? Ich fluche über den zu schweren Rucksack, die elende Plackerei im Schnee, in den ich bei jedem dritten Schritt einbreche. Dann schmerzt auch mein lädiertes Knie. Das hat es im Aufstieg auch getan, doch da habe ich es unter „lästig, aber nicht zu vermeiden“ verbucht.

Zu schwach für den Reißverschluss

Schwer bepackt, leicht gezeichnet

Schwer bepackt, leicht gezeichnet

Als ich auf 4850 Metern unseren beiden Nepalesen Chhongba und Singi begegne, schäme ich mich fast darüber, wie schwach ich doch bin. Die beiden haben sicher das Doppelte an Gewicht gebuckelt. Immerhin schlagen sie mein Angebot einer Tasse Wasser nicht aus. Im Eisbruch kommt mir Eva-Maria entgegen. Sie ist bereits am Vortag mit Jürgen, André und Manuel nach dem Gipfelerfolg bis ins Basislager abgestiegen. Das hätte ich niemals geschafft. Jetzt kommt sie uns Nachzüglern mit Getränken entgegen und bietet an, ein wenig Gepäck abzunehmen. Ich bin sehr dankbar, die letzten anderthalb Stunden bis ins Basislager nicht alleine zurücklegen zu müssen. Dort angekommen, bin ich nicht mehr in der Lage, den verklemmten Reißverschluss meines Zeltes zu lösen. Ein Glück, dass es einen zweiten Eingang gibt. Ich ziehe mir frische Klamotten an, die nicht verschwitzt sind, und setze mich ins Messzelt, um mit meinen Teamgefährten auf den Erfolg anzustoßen.

Kirschschnaps auf den Gipfelerfolg

Anstoßen auf den Gipfelerfolg aller

Anstoßen auf den Gipfelerfolg aller

Als komplette Mannschaft haben wir den 7129 Meter hohen Kokodak Dome erstmals bestiegen. In erster Linie verdanken wir das unserem erfahrenen und umsichtigen Expeditionsleiter Luis sowie unseren bärenstarken Nepalesen Chhongba und Singi. Am Gipfeltag gebührt die größte Ehre dem ersten Teil des Teams, das für die Nachzügler die Route gespurt hat. Aber mehr konnten die Stärksten der Mannschaft für uns nicht tun. Aufsteigen mussten wir schon selbst. Die Botschaft, dass ich es mit meinen limitierten Bergsteiger-Fähigkeiten auf diesen vorher noch jungfräulichen Gipfel geschafft habe, ist noch nicht richtig angekommen. Im Augenblick bin ich einfach nur erschöpft. Aber ich gehe fest davon aus, dass wir in den nächsten Tagen noch ausreichend Gelegenheit erhalten werden, uns über unseren Erfolg zu freuen. Angestoßen haben wir heute Abend mit dem Kirschschnaps eines 80-jährigen Bauern aus dem österreichischen Waldviertel, den Churchy durch alle Grenzkontrollen geschmuggelt hat. Angeblich hat der Schnaps einen Alkoholgehalt von rund 50 Prozent. Manuel hat jedenfalls eindrucksvoll demonstriert, dass man seinen Finger damit flambieren könnte. Keine Bange, er hat sich dabei nicht verletzt. Wie wir überhaupt alle heile von unserem Bergabenteuer zurückgekehrt sind. Wenn das kein Erfolg ist!

Datum

25. Juli 2014 | 19:15

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