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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Gipfelgefühle

Kokodak Dome mit Gletschersee

Kokodak Dome mit Gletschersee

Ich bin kein Gipfeljäger. Ich bin gefühlt schon ebenso oft umgekehrt wie ich auf den höchsten Punkten von Bergen gestanden habe. Und nun darf ich mich plötzlich „Erstbesteiger eines Siebentausenders“ nennen? Ich, der vor etwa 15 Jahren noch auf keinem Grat gehen konnte, ohne dass meine Beine vor lauter Höhenangst zu zittern begannen wie eine Nähmaschine? Verrückt. Als wir vor zwei Tagen im Gipfelbereich des Kokodak Dome eine kleine Pause einlegten, trat Hannes aus der Spur in den jungfräulichen Schnee. „Hier hat vor mir noch niemals zuvor ein Mensch gestanden“, verkündete er stolz und zu Recht. Mir war das an diesem Gipfeltag nicht bewusst. Vielleicht war ich zu sehr auf das große Ziel fokussiert, diesen Berg zu besteigen.

Kurz gezweifelt

Als wir kurz vor dem Gipfel waren, der Wind auffrischte und dichte Wolken uns die Sicht nahmen, dachte ich: „Nein, bitte nicht schon wieder.“ Erinnerungen an mein Erlebnis am Siebentausender Putha Hiunchuli wurden wach, als ich auf 7150 Metern umdrehen musste, 100 Meter unter dem Gipfel. Bis heute bin ich mir hundertprozentig sicher, dass es damals die richtige Entscheidung war. Aber im Gegensatz zu 2011 fühlte ich mich nun auch körperlich noch im grünen Bereich. Der Wolkenvorhang riss kurz auf und offenbarte drei Felsblöcke, die fast gleich hoch erschienen. Verdammt, welcher ist es denn nun? Chhongba, der mit Churchy, Hannes, Volker und mir aufstieg, behielt die Übersicht. Ruhig folgte er dem, was der Wind von der Spur unserer ersten Gruppe noch nicht weggeblasen hatte, und steuerte zielstrebig auf den höchsten Punkt zu.

Tatsächlich oben

Erst trocknen, dann packen

Erst trocknen, dann packen

Wir erreichten ihn über einen Felsflur: rechts und links hohe Steinblöcke, dazwischen pfiff uns der Wind ins Gesicht, so als wollte uns der Berg signalisieren: „Lasst mich in Ruhe, bis hierhin und nicht weiter!“ Expeditionsleiter Luis schätzt die Geschwindigkeit der Böen auf 60 bis 80 Stundenkilometer. In gebückter Haltung betrat ich die kleine Gipfelkuppe. „Ich bin tatsächlich oben“, schoss es mir in den Kopf. Aber dass unserer gesamten Gruppe nun eine Erstbesteigung gelungen war, realisierte ich nicht. Der starke Wind blies zunächst meine Emotionen fort.

Wirklichkeit gewordener Traum

Volker und Sven baten mich, Gipfelfotos von ihnen zu machen. Auch ich arbeitete mein Programm ab: Ich auf dem Kokodak Dome, die Fahne meines Leib- und Magenvereins 1. FC Köln auf dem Gipfel. Erst als Churchy und ich uns in die Arme fielen, brachen die Gefühle aus mir heraus. Wie oft hatte ich davon geträumt, auf einem sehr hohen Berg zu stehen! Und dann noch als Erstbesteiger. Von Churchy wusste ich, dass er mit derselben Demut dem Kokodak Dome gegenübergetreten war wie ich. Oft hatten wir in den letzten Tagen darüber gesprochen, dass dieser Berg uns alles abverlangte, manchmal sogar mehr, als wir uns vorher zugetraut hatten. Und jetzt standen wir beide auf dem Gipfel. Bloß ein Steinhaufen, doch ein Wirklichkeit gewordener Traum. Mir schossen die Tränen aus den Augen.

Zurück ins Glas

Yaks, eine Fata Morgana

Yaks, eine Fata Morgana

Sie waren kaum getrocknet, da wollte ich nur noch weg, herunter von diesem Gipfel. Der scharfe Wind signalisierte mir, dass ich in meiner Aufmerksamkeit nicht nachlassen durfte. Hier oben fühlte ich mich nicht sicher. Das kleine Würstchen wollte zurück ins Glas. Ich habe viele Bergbücher gelesen und weiß: Die meisten Bergunfälle geschehen beim Abstieg, wenn die Konzentration nachlässt, wenn der Adrenalinstoß versiegt. Also bin ich wieder vorsichtig hinunter gestapft, habe genauso achtgegeben wie beim Aufstieg. Erst jetzt, hier unten im Basislager, dämmert es mir langsam, dass auf irgendwelchen Listen, die die Welt nicht braucht, mein Name einer unter 16 sein wird, die als Erstbesteiger des Kokodak Dome am 24. Juli 2014 aufgeführt werden. Ich finde das einerseits kurios, kann aber andererseits nicht verhehlen, dass ich auch ein wenig stolz bin. Weil sich das kleine Würstchen seinen Ängsten gestellt und es mit Hilfe, Glück, Ausdauer und Dickschädel auf einen sehr hohen Berg geschafft hat.

Mit drei Uiguren im Gletschersee

Gletscherbad

Gletscherbad

Heute war ich mit unserem „Basecamp Manager“ Muhammad und unseren beiden Köchen Agbar und Ahmad oberhalb des Basislagers in einem Gletschersee baden. Ich empfand es als Ehre, dass sie mich fragten, ob ich sie begleiten wolle. Nachdem wir uns ins kalte Wasser getraut hatten, anschließend im Sand saßen, um wieder auf Temperatur zu kommen und auf „unseren“ Berg blickten, sagte Muhammad: „Ich glaube, das ist das letzte Mal, dass wir in unserem Leben hier am Kokodak Dome baden gehen.“ Die Zeit fließt eben. Und doch produziert sie einzigartige Momente wie ein Bad mit drei Uiguren in einem Gletschersee – oder zehn Minuten auf dem windumtosten Gipfel des Kokodak Dome. Ich bin dafür dankbar.

P.S. Jürgen, Volker, Chhongba, Singi und Luis sind heute noch einmal aufgestiegen, um Lager 1 endgültig aufzulösen. Nun sind alle Spuren vom Berg getilgt – bis auf die Schneespuren. Doch auch die werden bald zugeschneit oder zugeweht sein. Dann wird der Kokodak Dome wieder ein einsamer Berg sein. Und unsere Besteigung eine Episode.

Datum

26. Juli 2014 | 14:25

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