Dawa Steven Sherpa: „Chancen gehen zur Neige“
Es ist fünf vor zwölf, vielleicht sogar später. Die Zeit wird knapp, um den von Menschen verursachten Klimawandel zu bekämpfen. Die Auswirkungen der globalen Erwärmung lassen sich auch im Himalaya nicht mehr verleugen, etwa in Nepal. US- und einheimische Wissenschaftler schlagen Alarm: „Vor allem wegen des Klimawandels sowie der jüngsten Auswirkungen des Erdbebens und der Nachbeben ist Nepal in eine Phase häufig auftretender katastrophaler Ereignisse eingetreten, die sich in den kommenden Jahren auf die Bevölkerung des Landes, ihre Lebensumstände und ihre Lebensgrundlage auswirken wird.“ Die Wissenschaftler hatten die Folgen des verheerenden Erdbebens am 25. April auf die größten und gefährlichsten Gletscherseen in Nepal untersucht.
In diesen Tagen diskutieren Delegierte aus aller Welt in Paris über ein neues Klimaschutzabkommen. Aus diesem Anlass habe ich Dawa Steven Sherpa in Kathmandu angerufen. Zusammen mit seinem Vater Ang Tshering Sherpa, dem Präsidenten des Nepalesischen Bergsteigerverbands (NMA) führt der 31-Jährige den Expeditionsveranstalter„Asian Trekking“. Dawa Steven bestieg zweimal den Everest (2007 und 2008) und auch die Achttausender Cho Oyu (2006) und Lhotse (2009). Seit Jahren engagiert er sich für Umwelt- und Klimaschutz, unter anderem ist er Botschafter des WWF für den Klimawandel.
Dawa Steven, welche Veränderungen durch die globale Erwärmung stellst du in Nepal fest, besonders in der Everest-Region?
Alle Bergregionen Nepals wandeln sich, selbstverständlich auch die Everest-Region. Als Bergsteiger siehst du die Veränderungen. Neue Routen müssen gesucht werden, so wie es in diesem Jahr die „Icefall Doctors“ im Khumbu-Eisbruch gemacht haben. Auch die Gefahrenlage ändert sich. Wir registrieren mehr Steinschlag, weil Schnee und Eis fehlen, die früher dafür gesorgt haben, dass sich Steine und Felsbrocken nicht von den Hängen lösten. Wir notieren ebenfalls mehr Lawinen und Zusammenbrüche von Seracs. Natürlich sind das natürliche Prozesse, die an hohen Bergen einfach vorkommen. Aber sie sind noch nie so häufig aufgetreten und in diesem Umfang.
Worin siehst du die größten Gefahren der Zukunft für die Menschen im Himalaya?
Über die Gefahren für Bergsteiger habe ich ja gerade gesprochen, aber es gibt noch viele, viele andere Probleme. Die Gletscher schmelzen und verwandeln sich in riesige Seen, deren natürliche Dämme zu brechen drohen. Die Wassermassen würden tiefer liegende bewohnte Täler treffen. Das ist eine unmittelbare Auswirkung, aber es gibt auch noch andere. Zum Beispiel ändert sich das Wettergeschehen. Es ist kaum noch möglich vorherzusagen, wann es regnet, wann die Niederschläge aufhören, wie trocken oder kalt es wird. Früher konnte man sich auf gewisse historische Wettermuster verlassen, heute funktioniert das nicht mehr. Deshalb wird es für Menschen, die auf Landwirtschaft angewiesen sind, immer schwerer, nicht nur in den Bergen, auch in den Tälern.
Außerdem können wegen der steigenden Temperaturen immer mehr Insekten in großen Höhen überleben. Es tauchen Schädlinge an Orten auf, an denen man sie früher gar nicht kannte. Auch Mücken und Parasiten werden in immer höheren Lagen angetroffen. Sie zerstören die Ernten und gefährden die Gesundheit.
Der Klimawandel hat auch Auswirkungen auf den für Nepals Wirtschaft so wichtigen Tourismus. Im Jahr 2013 etwa blieb der Flughafen Lukla [das Eingangstor für Bergsteiger und Trekking-Touristen ins Khumbu-Gebiet] im Oktober 12 Tage lang geschlossen. Eigentlich ist der Oktober für den Tourismus in Nepal der stärkste Monat. Aber wenn mehr als ein Drittel der Tage wegen des schlechten Wetters für Reisen ausfallen, hat das gravierende Auswirkungen auf die Lebensgrundlage der Menschen vor Ort, auf die Situation der lokalen Wirtschaft – und auch der ganzen Nation. Denn so etwas schadet dem Ruf Nepals als verlässliches und seriöses Urlaubsziel.
Nepal kämpft derzeit mit anderen großen Problemen: den Folgen des verheerenden Erdbebens, Engpässen wegen der Blockade der Grenze zu Indien, dazu gibt es noch eine neue Regierung. Bleibt da im öffentlichen Bewusstsein überhaupt noch Platz für die Problematik des Klimawandels?
Wir müssen zwischen dringenden und wichtigen Bedürfnissen unterscheiden. Im Augenblick gibt es dringendere Bedürfnisse in Nepal, etwa dass die Blockade endlich aufgehoben wird. Vor diesem Hintergrund beschäftigen sich die Menschen selbstverständlich weniger mit den langfristigen Folgen des Klimawandels. Aber ob Klimawandel, Blockade oder Erdbeben, sie alle haben einen direkten Einfluss auf den Lebensunterhalt der Menschen. Nach dem Erdbeben konnten Hunderttausende Menschen nicht in ihre Häuser zurückkehren, weil aufgrund der Blockade keine Hilfe mehr eintrifft und die Bauarbeiten zum Stillstand gekommen sind. Diese Menschen wissen nicht mehr, was sie tun sollen. Sie können nicht auf ihre Felder gehen, weil ihre Ernte zerstört wurde. Es ist nicht einfach schwarz-weiß, hier der Klimawandel, dort das Erdbeben. Am Ende des Tages hängt alles irgendwie zusammen und schränkt die Fähigkeit der Menschen vor Ort ein, für sich selbst zu sorgen.
Was erwartest du vom Klimagipfel in Paris?
Ich hoffe, dass nicht nur die mächtigen, sondern alle Nationen eine Vereinbarung treffen, um den Kohlendioxid-Ausstoß so weit zu reduzieren, dass die globale Erwärmung deutlich unter zwei Grad Celsius gehalten werden kann. Außerdem muss das Abkommen rechtsverbindlich sein. Sollte man einem Land nachweisen, dass es sich nicht an die Regeln hält, muss es dafür haften. Es geht hier schließlich nicht nur um unsere, sondern jedermanns Zukunft. Ich hoffe, dass diejenigen, die am Verhandlungstisch sitzen und dann die Papiere unterzeichnen, nicht nur durch die ökonomische Brille blicken. Ich denke, am Ende des Tages, wenn die Erde wirklich beginnen sollte zu kollabieren, sind ökonomische Gründe nur noch ein Witz. Niemand wird dann noch auf diese Entscheidung zurückblicken. Die Delegationen in Paris sollten an künftige Generationen denken und nicht nur an ihre Wirtschaft.
Denkst du, es ist eine der letzten Chancen, weil die Zeit knapp wird?
Die Chancen gehen zur Neige, es wird immer schlimmer. Vielleicht mag es ja in einigen entwickelten, hoch industrialisierten Gebieten der Welt auch Menschen geben, die vom Klimawandel profitieren würden. Aber für die Menschen in Nepal oder in anderen Entwicklungsländern schwinden die Chancen sehr schnell dahin. Sie spüren bereits jetzt die Auswirkungen des Klimawandels.