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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Kontroverse um Lawine an der Shishapangma

Vorgeschobenes Basislager an der Shishapangma

Vorgeschobenes Basislager an der Shishapangma

24. September 2014, 6:55 Uhr: Fünf Bergsteiger steigen auf einer Höhe von rund 7900 Metern dem Gipfel des Achttausenders Shishapangma entgegen, als sich eine Lawine löst. Die beiden Deutschen Sebastian Haag und Martin Maier sowie der Italiener Andrea Zambaldi werden mehrere hundert Meter den Hang hinuntergespült. Der Deutsche Benedikt Böhm und der Schweizer Ueli Steck haben Glück und entkommen den Schneemassen. Der 36 Jahre alte Haag und der 32-jährige Zambaldi kommen ums Leben. Maier überlebt wie durch ein Wunder und kann sich aus eigener Kraft ins Hochlager retten. Die Nachricht über das Unglück erscheint zuerst in meinem Blog. Auch die ersten Interviews über die Lawine mit Bene Böhm und Martin Maier sind auf „Abenteuer Sport“ zu lesen.

„Die Zeit heilt nicht alles“

Mehr als anderthalb Jahre danach hat Martin mit einem Interview in der Zeitschrift „Bergsteiger“ eine Debatte über das Unglück losgetreten. Der 41 Jahre alte Wirtschaftsingenieur leidet nach eigenen Worten noch immer an den Spätfolgen, nicht nur gesundheitlicher Art: „Die Zeit heilt nicht alles – weder Verletzungen, die bis heute geblieben sind, noch die Traurigkeit und Erbitterung darüber, dass Menschen ihren Selbstwert auf Kosten anderer steigern möchten.“ Maier wirft den beiden anderen Überlebenden der Lawine, Böhm und Steck, zum einen vor, die Unwahrheit gesagt zu haben, zum anderen, dass sie ihn zu schnell aufgegeben hätten.

Wer ging wo?

Mit Hilfe von Bildern, die mit einer Zeitrafferkamera vom Basislager aus gemacht wurden, dokumentiert Maier, dass Benedikt Böhm offenbar zum Zeitpunkt des Lawinenabgangs an der Spitze der Gruppe ging (siehe Video).

Benedikt hatte mir drei Wochen nach seiner Rückkehr im Interview gesagt: „Basti (Haag) spurte und ging ein bisschen vom Grat weg. Er wollte sich mir gerade wieder zuwenden. In diesem Moment löste sich der ganze Hang. (…) Weil ich nahe am Grat war, konnte ich zur Seite springen. Ebenso Ueli, der knapp unter mir war.“ Nach Erscheinen des Interviews bat mich Böhm, zwei seiner Aussagen (u.a. die am Anfang des Videos zitierte) herauszunehmen, die den Eindruck hätten erwecken können, dass Haag möglicherweise das Unglück verschuldet hätte. Ich kam seiner Bitte nach – auch mit Rücksicht auf Sebastians Eltern, die gerade ihren zweiten Sohn am Berg verloren hatten.
Die Kernaussage blieb jedoch bestehen, Benedikt hatte sie im Verlauf des Interviews noch einmal bestätigt: „Ich war ja schon in Bastis Spur, habe dann aber instinktiv umgedreht und bin ein paar Schritte aus dem Hang herausgegangen.“ Ich habe Böhm um eine Stellungnahme zu Maiers Vorwurf gebeten, er habe „Dinge erfunden und konstruiert, die einfach nicht den Fakten entsprechen. Benedikt antwortete mir, er wolle die ganze Angelegenheit zunächst direkt mit Martin klären und dann an die Öffentlichkeit gehen. Voraussichtlich für Ende Juli, Anfang August sei ein gemeinsamer Fernsehauftritt geplant.

Steck: „Näher zum Grat hin“

Ueli Steck hatte mir gut vier Monate nach dem Unglück auf der ISPO in München die Situation zum Zeitpunkt des Lawinenabgangs so geschildert: „Es war eigentlich nur Glück, dass Beni (Böhm) und ich uns noch etwas weiter oben aufhielten. Wir standen auch in der Lawine, aber eben ein wenig auf der Seite, wo nicht so viel wegrutschte.“ Ähnlich hatte er sich unmittelbar nach der Expedition in der Schweizer „Sonntagszeitung“ geäußert. Auf dem im „Bergsteiger“ veröffentlichten Bild sieht man, dass der Schweizer Top-Bergsteiger als Vorletzter der Gruppe aufstieg. Das sei kein Widerspruch zu seinen Worten, schreibt mir Ueli: „Das war so gemeint, dass ich von meiner Sicht aus weiter oben gegen die Rippe/den Grat war – und nicht oberhalb der anderen. Ich habe es genau so gesagt, wie es auf dem Bild zu sehen ist.“

Rettungsversuch verzögert?

Basti Haag (l.) und Andrea Zambaldi (r.)

Basti Haag (l.) und Andrea Zambaldi (r.) starben in der Lawine

Der zweite Vorwurf Maiers wiegt fast noch schwerer: Böhm und Steck hätten gesehen, dass jemand auf den Schneemassen gelegen habe. Mit ihrer kategorischen Aussage über Funk, es sei unmöglich, zum Lawinenkegel zu queren, hätten sie eine Rettungs- oder Bergungsaktion zumindest verzögert, beinahe sogar verhindert. „Ich will gar nicht sagen, dass mir die beiden selbst hätten helfen müssen“, sagte Maier im „Bergsteiger“-Interview. „Aber man hätte zumindest anderen die Entscheidung selbst überlassen müssen zu helfen oder nicht. Statt zu behaupten, es gibt keine Chance, jeder Rettungsversuch ist aussichtslos, hätten sie sagen können: Wir sind nicht in der Lage, uns ist die Lawinengefahr zu groß.“

Böhm: „Schwierigste Entscheidung meines Leben“

Böhm und Steck widersprechen. Böhm bezeichnet gegenüber der „Süddeutschen Zeitung“ den Entschluss, nicht zum Lawinenkegel zu queren, als „die schwierigste Entscheidung meines Lebens, die mich ein Leben lang verfolgen wird“. Vielleicht, so Benedikt, hätte er sich über Funk und später auch gegenüber Norbu Sherpa, der ihnen entgegen gestiegen war, differenzierter ausdrücken müssen, er habe jedoch „keinesfalls eine Rettungsaktion verhindern wollen“.

Steck: „Ich hatte Glück, andere weniger“

Wie Böhm verweist auch Steck darauf, dass sie alles versucht hätten, hinüber zu gelangen. Lawinengefahr, so Ueli, könne man leider Gottes nicht messen. „Ich habe hin und her diskutiert mit Suzanne (Hüsser vom Expeditionsveranstalter Kobler & Partner), was wir machen sollten“, schreibt mir Ueli. Jemand, der damals im Basislager Stecks Funkspruch mithörte, schilderte mir, dass der Schweizer damals „emotional wirklich fertig“ gewesen sei. „Im Nachhinein mit dem Finger auf uns zu zeigen, finde ich absolut daneben“, schreibt mir Ueli. „Es ist einfach, hinterher über andere zu urteilen, die oben waren und in dieser Situation die Entscheidung treffen mussten.“ Es sei falsch gewesen, bei diesen Dingen überhaupt aufzusteigen. „Dass wir alle zusammen eine Lawine ausgelöst haben, war der Fehler, für den wir alle die Konsequenzen tragen müssen. Ich hatte Glück, andere weniger.“ Im Herbst 2014 erreichte wegen der Schneemassen am Berg kein Bergsteiger den Gipfel der Shishapangma.

Maier: „Gebraucht, aber in der Darstellung unerwünscht“

Während der Akklimation

Während der Akklimation

Steck hatte damals den Achttausender ursprünglich gemeinsam mit seiner Frau Nicole besteigen wollen. Der Schweizer war nur für diesen Gipfelversuch zum Team der „Double 8“-Expedition gestoßen. Das Ziel der Expedition lautete: Speedbegehung der Shishapangma, Skiabfahrt vom Gipfel, mit dem Mountainbike zum Cho Oyu, auch dort Speedbesteigung und Skiabfahrt. Das Internetportal “Spiegel online” hatte die Expedition zunächst medial begleitet. Maier war der einzige Nicht-Profi im Team, sein Name fiel in der Berichterstattung nicht. Ich erinnere mich, dass ich mich bei seiner Erwähnung in der ersten Nachricht Benedikts über das Unglück fragte: Martin Maier? und dann erst einmal recherchierte, wer das überhaupt sei. „Am Tag des zweiten Gipfelversuches hatte ich von Lager 1 bis knapp unter Lager 3 fast 1000 Höhenmeter alleine gespurt“, sagte Maier im „Bergsteiger“-Interview. „Insofern war ich wohl ein gebrauchter, aber in der Darstellung unerwünschter Teil der Expedition.“

Bitte sachlich!

In der Szene wird heftig über Martins Vorwürfe diskutiert, auch mich erreichten zahlreiche Anfragen. In mehreren Zeitungen wurde über den Streit berichtet. Es fallen Begriffe wie „Bergsteiger-Ehre“, „Lüge“, „Schuld“ und „falscher Stolz“. Unter denen, die sich nun zu Richtern aufschwingen, haben die meisten im Herbst 2014 im warmen Wohnzimmer gesessen. Einige waren wahrscheinlich noch nie an einem hohen Berg unterwegs, geschweige denn sind sie dort in Extremsituationen geraten. Ich habe lange gezögert, ob ich mich zu dem Vorgang äußern sollte. Doch die Debatte hat sich inzwischen verselbstständigt, und ich kann nicht so tun, als würde sie nicht ausgetragen. Einige Fragen sind zu klären, vor allem zwischen Benedikt und Martin. Ich hoffe, dass es auf einer sachlichen Ebene geschieht.

Datum

12. Juli 2016 | 10:44

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