Ueli Steck: „Wenn du zu weit gehst, bist du tot“
Wäre „The Fast and the Furious“ ein Bergsteiger-Film, könnte Ueli Steck die Hauptrolle spielen. Der Schweizer ist einfach rasend schnell unterwegs. Die Eiger-Nordwand in zwei Stunden und 22 Minuten, die 82 Viertausender der Alpen in 61 Tagen, solo durch die Annapurna-Südwand auf den 8091 Meter hohen Gipfel und zurück in 28 Stunden, im Alleingang in zehneinhalb Stunden durch die Shishapangma-Südwand – nicht umsonst trägt Ueli den Spitznamen „The Swiss Machine“. Als hätte er einen getunten Motor wie die Autos in „The Fast and the Furious“. Gerade erst ist Steck aus Indien zurückgekehrt. Ich habe ihn beim International Mountain Summit (IMS) in Brixen in Südtirol getroffen und mit ihm über seinen Hang zur Geschwindigkeit, das Altern und seine nächsten Pläne gesprochen.
Ueli, du bist gerade 40 Jahre alt geworden und warst nicht zu Hause. Wie hast du deinen runden Geburtstag verbracht?
Ich war mit meiner Frau am Shivling in Indien (ein 6543 Meter hoher extrem formschöner und anspruchsvoller Berg im Norden des Landes) bergsteigen. Es war eine sehr schöne Reise und ein gebührendes Fest für meinen 40. Geburtstag.
Und du hast dir einen Gipfelerfolg geschenkt?
Ja, wir hatten super Wetterglück. In sieben Tagen waren wir auf dem Shivling. Es war perfekt.
Gerade hat sich dort ein Bergdrama abgespielt. Zwei polnische Bergsteiger sind ums Leben gekommen.
Als ich hier nach Brixen gefahren bin, hat mir mein indischer Verbindungsoffizier per Whatsapp die schlechte Nachricht übermittelt. Ich habe nur gedacht: Nicht schon wieder! Wir waren zusammen im Basislager, echt nette Kerle. Es ist einfach traurig. Du fragst dich dann schon immer: Warum? Der Greg (Grzegorz Kukurowski) ist gestorben, weil er höhenkrank wurde. Da denkst du schon, das ist doch heutzutage nicht mehr nötig. Warum passiert das immer wieder? Ich finde es einerseits traurig, andererseits ärgert es mich.
Zurück zu dir. Andere Leute werden mit 40 langsamer. Bei dir hat man das Gefühl, du wirst immer schneller.
Im Moment geht es noch bergauf. (lacht) Man muss sein Alter akzeptieren und nicht traurig sein, dass es nicht mehr so ist wie vor 15 Jahren. Ich brauche ein bisschen mehr Erholung, mehr Ruhe. Aber das kann man ja auch positiv sehen. Da habe ich mal mehr Zeit, auf dem Sofa zu sitzen. Ich glaube, das Alter ist nur eine Einstellungssache.
Du warst schon immer superschnell unterwegs, trotzdem habe ich das Gefühl, du hast die Geschwindigkeit noch einmal neu für dich entdeckt.
Ich habe es schon ein bisschen optimiert und mein Training darauf ausgerichtet. Ich weiß, ich kann die nächsten vier, fünf Jahre noch einige Peaks (Spitzen) setzen.
Im letzten Frühjahr, als du mit David Göttler versucht hast, die Shishapangma-Südwand über eine neue Route zu klettern, hatte man das Gefühl, ihr seid ständig „auf Speed“. Erst habt ihr euch zum Akklimatisieren fast totgelaufen, und dann seid ihr in der Wand weiter gelaufen.
Wir waren immer unterwegs. Das ist das, was mir gefällt. Wir haben von Anfang an gesagt: Wir wollen bergsteigen und nicht im Basislager herumsitzen. Wir wollten uns bewegen und Spaß haben. Das ist uns gelungen.
Ihr hattet wenig Ausrüstung in der Wand dabei. Eben Leicht und schnell. Doch man wird dadurch auch verletzlicher.
Man muss schon aufpassen und vorsichtig sein. Wir waren ja bereits auf dem Gipfelplateau, von hinten zog das schlechte Wetter rein, vorne war noch blauer Himmel. Dann kannst du schon weitergehen. Aber du weißt genau, du hast keine Marge. Wenn du weiter pushst und zum Gipfel gehst, und dann kommt der Sturm und du musst biwakieren, bist du tot. Weil du nichts dabei hast. Da muss man einfach vorsichtig sein.
Das ist ein Thema, das mir auf dem Herzen liegt. Im Moment ist es ein Trend, vom Tal mit Turnschuhen auf den Gipfel des Mont Blanc zu rennen. Die Leute sehen das und denken, das geht immer. Aber man kann nicht jeden Tag mit Turnschuhen dort hinauflaufen. Ich denke, wir müssen die Leute für dieses Problem sensibilisieren. Wann ist es möglich, wann nicht, und wann dreht man besser um?
Man muss allgemein beim Bergsteigen vorsichtig sein. Ich war jetzt mit meiner Frau in sieben Tagen auf dem Shivling. Das ist möglich, aber du bist natürlich nicht voll akklimatisiert. Dir muss bewusst sein: Wenn du Kopfschmerzen bekommst und es schlimmer wird, musst du absteigen. Und wenn du es nicht machst, stirbt jemand. Man kann schon schnell, leicht und effizient unterwegs sein, aber man muss die Risiken und Gefahren bewusst wahrnehmen.
Hilft dir dabei die große Erfahrung eines Extrembergsteigers, der immerhin schon seinen 40. Geburtstag erlebt hat?
Logisch, und das kann ich auch ausspielen. Speziell beim Höhenbergsteigen. Ich habe so viele Expeditionen gemacht, ich weiß genau, wo ich stehe, was ich machen muss und wie viel ich pushen kann. Aber man muss eben auch umdrehen können. An der Shishapangma gab es zwischen David und mir keine endlosen Diskussionen. Wir haben beide viel Erfahrung und wissen, was es heißt, wenn du zu weit gehst. Dann kommst du eines Tages nicht mehr zurück. Wenn du so schon oft erlebt hast, wie Bergsteiger gestorben sind, ist dir das viel bewusster als jemandem, der es zum ersten Mal macht und dann sagt: „Es schneit, na und? Wir gehen weiter, wir sind ja keine Weicheier!“
Wirst du jetzt häufiger mit deiner Frau im Himalaya unterwegs sein?
Wir haben schon sehr viele schöne Expeditionen zusammen gemacht. Das weiß nur niemand. Das sind immer unsere Ferien. Und wir haben die Abmachung, dass ich es nicht publik mache. Wir werden auch weiterhin gemeinsam auf Expedition gehen. Solange es geht.
Verrätst du mir dein nächstes Projekt?
Ich probiere noch einmal die Everest-Lhotse-Überschreitung.
Ich brauche ja wohl nicht zu fragen, ob mit oder ohne Flaschensauerstoff.
Mit Flaschensauerstoff ist das Projekt doch gar nicht interessant.
Alleine oder mit einem Partner?
Die Idee ist, mit Tenji Sherpa als Team zu klettern. (Mit ihm hatte Steck 2012 den Everest ohne Atemmaske bestiegen. Auch bei späteren Expeditionen Uelis in Nepal war Tenji mit dabei.)
Versuchst du wieder, früh in der Saison unterwegs zu sein, um den Massen aus dem Weg zu gehen?
Ich bin da relativ gelassen. Wenn man ein Bergsteiger ist, kann man auch neben der Spur hochgehen. Selbst am Hillary-Step kann man rechts vorbei, wenn man will. Ich lasse mich davon nicht stressen.