Lebe wohl, Ueli!
„Ich glaube, er war ein total glücklicher Mensch, als es passiert ist“, sagte Robert Bösch, der Schweizer Fotograf und Bergsteiger, bei der Gedenkfeier für seinen Freund Ueli Steck, der am 30. April am Nuptse aus einer Höhe von rund 7600 Metern in den Tod gestürzt war. Jede SMS von Ueli zuvor aus dem Everest-Basislager habe die Botschaft vermittelt: Alles stimmt, Motivation und Fitness. Bösch glaubt, dass es ein spontaner Entschluss des 40-Jährigen gewesen sei, zur Akklimatisierung nicht, wie ursprünglich geplant, zum Everest-Südsattel aufzusteigen, sondern auf den Nuptse. „Die Verhältnisse müssen gut gewesen sein, sonst wäre er nicht so schnell so weit oben gewesen“, sagte Robert. Ganz sicher sei Steck „im Flow“ geklettert. Warum er abgestürzt sei, lasse sich nicht klären. „Das ist egal, das ist eben Bergsteigen. Das Quäntchen Glück, das er gebraucht hätte, hat er diesmal nicht gehabt.“
„Mensch wie du und ich“
Rund 600 Menschen waren der Einladung der Familie Steck gefolgt, im Kursaal des Congress Centers Interlaken des tödlich verunglückten Topbergsteigers zu gedenken. Vielen stand der Schock auch nach über drei Wochen noch ins Gesicht geschrieben. Neben der Familie um Stecks Ehefrau Nicole, Uelis Eltern und die beiden Brüder waren auch viele Wegbegleiter aus der Bergsteiger-Szene gekommen: die Schweizer Stephan Siegrist, Roger Schaeli und Evelyne Binsack, die US-Amerikanerin Melissa Arnot-Reid, der Brite Jonathan Griffith, um nur einige zu nennen. Jon erinnerte daran, dass Ueli, selbst als er längst ein internationaler Star gewesen sei, keinerlei Allüren gehabt habe. „Er war ein Mensch wie du und ich. Er setzte sich einfach gerne hin und redete mit den Leuten“, sagte Griffith. Steck sei ein starker Mann gewesen, der seine Herausforderungen gelebt habe. „Sein Motto war: Nichts ist unmöglich. Ich vermisse seine Präsenz und Energie. Ich vermisse ihn als Freund und Mentor.“
Lieber Tiger als Schaf
Bei der bewegenden Gedenkfeier wurde auch an Uelis Lieblingsspruch erinnert, den er einst auf einem Schild an der Annapurna entdeckte und der ihn fortan durchs Leben begleitete: „Es ist besser, einen Tag lang ein Tiger zu sein, als tausend Jahre lang ein Schaf.“ Ueli – das belegten nicht nur die Redebeiträge, sondern auch die Bilder und Filmsequenzen, die gezeigt wurden – schlüpfte deutlich länger als einen Tag in die Rolle des Tigers. Steck inspirierte andere Menschen – ob beim Speedklettern in den klassischen Nordwänden der Alpen oder mit seinen Soloprojekten in den Südwänden der Achttausender Annapurna und Shishapangma. „Er hat eine riesige Lücke hinterlassen“, sagte sein früher Weggefährte Ueli Bühler. „Wenn es einen Trost gibt“, ergänzte Robert Bösch, „dann den, dass es im Tal des Schweigens passiert ist, umgeben von den höchsten Bergen.“ Dort, wo sich Ueli Steck am wohlsten fühlte.