Ines Papert zu Ueli Stecks Tod: „Es war SEIN Leben!“
Warum wählte Ueli Steck den Nuptse, um sich zu akklimatisieren? Das ist eine Frage, die ich mir stelle, seitdem sich am Sonntag die Nachricht vom Tod des Schweizers wie ein Lauffeuer verbreitete. Einige Tage zuvor war der 40-Jährige Richtung Everest-Westschulter geklettert. Das machte Sinn, schließlich plante er bei seiner Everest-Lhotse-Traverse den Aufstieg über Westgrat und Hornbein-Couloir zum höchsten Punkt. Aber der Nuptse? Nicht gerade die klassische Tour, um sich zu akklimatisieren. Und mit welchem Mehrwert, als nur weitere Höhenmeter zu machen?
Reinhold Messner mutmaßt, Ueli habe vielleicht nicht nur die angekündigte Traverse, sondern das „große Hufeisen“ im Visier gehabt, also die noch niemals versuchte Rundtour über Nuptse, Lhotse und Everest und die Grate dazwischen. Dafür sehe ich nach dem, was ich bisher gehört und gelesen habe, keinen Anhaltspunkt. Der Franzose Yannick Graziani schrieb in seinem Blog, dass Ueli ihn drei Tage vor seinem Tod gefragt habe, ob er nicht Lust habe, ihn auf den Nuptse zu begleiten. Der 43-Jährige, der in diesem Frühjahr den Everest ohne Flaschensauerstoff besteigen will, lehnte ab. Es sei wirklich nur um eine Akklimatisationstour gegangen, ließ mich Yannicks Team auf Nachfrage wissen: „Ueli hat niemals über das Hufeisen geschrieben oder geredet. Er wartete darauf, dass sich sein Sherpa-Freund Tenji von seiner Erfrierung erholte, um mit ihm zusammen zur Westschulter aufzusteigen.“
Ich hatte am Montag einige Topbergsteiger angeschrieben und gefragt, wie sie Ueli erlebt haben. Zwei weitere Antworten erreichten mich.
Auer: „Ueli hat uns inspiriert und ermuntert“
Der 33 Jahre alte Österreicher Hansjörg Auer wurde in den USA von der Nachricht über Stecks Tod überrascht:
„Ueli war jemand, der sein Tun am Berg mit voller Passion und hohem persönlichen Einsatz betrieben hat. Er hat nicht nur viele Alpinisten inspiriert, sondern uns auch immer wieder mit seinen Ideen ermuntert, diesen notwendigen Schritt weiter zu gehen, um unsere Kultur des Bergsteigens neu zu definieren. Ich durfte mit ihm einige Male darüber diskutieren und werde sein sehr persönliches, wertschätzendes und aufmunterndes Email nach meinem Verlust von Gerry [Fiegl] am Nilgiri South [Fiegl stürzte im Herbst 2015 beim Abstieg von dem 6839 Meter hohen Berg im Westen Nepals in den Tod] nie vergessen. Lebe wohl, Ueli!“
Papert: „An den Grenzen des Menschenmöglichen“
Nachdenkliche Worte fand die 43 Jahre alte deutsche Spitzenkletterin Ines Papert:
„Ich verliere Tränen über Uelis Verlust. Er hat im Alpinismus Unglaubliches bewegt und neue Maßstäbe gesetzt.
Aber kein Mensch ist unsterblich, auch nicht Ueli. Die Nachricht hat mich dennoch sehr hart getroffen, auch wenn sie nicht völlig unerwartet kam. Ich war über die Jahre immer ein wenig in Sorge und fragte mich, wie weit man das Limit pushen kann, ohne dabei Gefahr zu laufen, sein Leben zu verlieren. Ich bin sicher, es war ihm bewusst, wie nah er sich an der Kante befindet. Dies zu kritisieren, ist absolut vermessen, denn es war SEIN Leben, das Leben in den Bergen. Er hat es ERLEBT und war dabei sicher glücklich.
Doch hoffte ich immer, dass er mit seinem Zugang zum Alpinismus nicht zu viele Nachahmer finden würde. Leichtigkeit (light and fast) bis zu einem gewissen Maß kann das Risiko an hohen Bergen enorm reduzieren. Doch je weiter man das Spiel treibt, umso näher ist man dem Tod. Dessen war sich Ueli bewusst, denn er war nicht nur unglaublich motiviert und stark sondern auch ein intelligenter Mensch.
Es liegt viele Jahre zurück, dass wir gemeinsam die Route „Blaue Lagune“ an den Wendenstöcken [Gebirgsgruppe in den Urner Alpen in der Schweiz] geklettert sind, dass wir uns in der Pizzeria im Val di Cogne [Seitental des Aosta-Tals in Italien] nach dem Klettern getroffen haben und über ethische Fragen im Mixed-Klettern diskutiert haben. Er stand damals ganz am Anfang seiner Karriere, doch seine Begeisterung oder fast Besessenheit für das Klettern und die Herausforderung grenzwertiger Ambitionen war deutlich spürbar. Seinen Erfolg konnte ich später nur noch aus den Medien verfolgen, er hatte sich komplett in eine andere Richtung entwickelt, als ich selber.
Ich habe ihn immer sehr bewundert, wie weit er seinen Körper und Geist an die Grenzen des Menschenmöglichen treiben konnte. Gleichzeitig hatte ich immer die Befürchtung, es würde eines Tages schief gehen. Ein wenig tröstlich ist, dass er dort geblieben ist, wo sein Zuhause war: in den Bergen der Welt.“