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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Tod an der Annapurna

Die Kameras an der Annapurna sind wieder ausgeschaltet. Das Drama am zehnthöchsten Berg der Erde wurde nicht mehr live übertragen. Tolo Calafat, ein spanischer Bergsteiger, der wie die Südkoreanerin Oh Eun-Sun am Dienstag den Gipfel erreicht hatte, kehrte nicht mehr zurück. Auf 7600 Metern war Calafat so erschöpft, dass er nicht mehr weiter absteigen konnte. Außerdem zeigten sich Symptome eines lebensbedrohlichen Hirnödems. Der Sherpa, der Calafat begleitete, ließ einen Biwaksack da und stieg ins oberste Lager auf 7200 Metern Höhe ab, um Unterstützung zu holen. Per Satellitenhandy schickte Tolo einen verzweifelten Hilferuf: „Um meiner Kinder willen, kommt und holt mich hier runter!“


Auf jede dritte Besteigung der Annapurna kommt ein Todesfall

Zu spät, zu schwach

Doch die Bergsteiger im obersten Lager gingen selbst auf dem Zahnfleisch. „Der Abstieg vom Gipfel der Annapurna geriet zum unkontrollierten Rückzug, bei dem jeder um sein eigenen Leben kämpfte“, schreibt der Spanier Ramon Morandeira in seinem Blog aus dem Basislager. Die Bergsteiger hätten den Gipfel viel zu spät erreicht. Im obersten Lager eingetroffen, sei auch Oh Eun-Sun völlig erschöpft gewesen. Andere zeigten Symptome der Höhenkrankheit, waren schneeblind oder hatten Erfrierungen davongetragen. Zudem hatte starker Schneefall eingesetzt. Ein Schweizer Rettungsteam konnte mit einem Spezialhubschrauber wegen schlechter Sicht zunächst nicht vom Basislager aus starten. Calafat telefonierte mit seiner Frau auf Mallorca. Seine Stimme sei schwach gewesen, berichtete sie.
Das bestätigte auch Juanito Oirzabal, zu dessen Team Tolo Calafat gehörte. Ein Sherpa sei noch einmal aufgestiegen, um Calafat eine Sauerstoffflasche, einen Schlafsack, Lebensmittel und einen Kocher zu bringen. Doch er habe elf Stunden lang vergeblich nach dem Spanier gesucht. Auch die Besatzung des Rettungshubschraubers, der später bei besserer Sicht doch gestartet war, konnte Calafat nicht finden.


Hat Oh Eun-Sun Hilfe angeboten oder abgelehnt?

Auch nicht für 6000 Euro

Irgendwann, so Oirzabal, habe sein Landsmann nicht mehr auf die Nachrichten per Satellitenhandy reagiert. Er sei wohl in der zweiten Nacht gestorben. Oirzabal stand an der Annapurna zum 24. Mal auf dem Gipfel eines Achttausenders, häufiger als jeder andere Bergsteiger. Der Baske erhob in einem Radiointerview schwere Vorwürfe gegen das Team der Koreanerin Oh. Er habe jedem Sherpa ihrer Mannschaft 6000 Euro geboten, sollte er sich an einer Rettungsaktion für Calafat beteiligen und noch einmal aufsteigen. Keiner sei darauf eingegangen. „Wir hätten Tolos Leben retten können“, sagte der 54-Jährige verbittert. In den letzten Jahren sei die Solidarität unter den Bergsteigern verloren gegangen. In anderen Berichten heißt es, das koreanische Team habe sehr wohl seine Hilfe angeboten.

Oirzabal, der beim Abstieg vom Gipfel schneeblind geworden war und sich auch Erfrierungen zugezogen hatte, wurde mit anderen Bergsteigern per Rettungshubschrauber ins Basislager zurückgeflogen. Calafat bleibt in seinem weißen Grab an der Annapurna. Er hinterlässt eine Frau und zwei Kinder im Alter von anderthalb und acht Jahren. Sein Tod wird im Gegensatz zum Medienspektakel um Oh Eun-sun außer in Spanien wohl kaum für Schlagzeilen sorgen. Denn die Kameras sind wieder ausgeschaltet.

Datum

29. April 2010 | 14:29

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