More DW Blogs DW.COM

Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Liebesbeweis

Der Traum von der Durchsteigung der Nordwand des Mount Everest ist für Gerlinde Kaltenbrunner und Ralf Dujmovits geplatzt. Schweren Herzens und nach langer Diskussion entschied sich das Ehepaar, vom zentralen Rongbukgletscher zum Nordsattel aufzusteigen und von dort aus auf dem tibetischen Normalweg zu versuchen, den 8850 Meter hohen Gipfel zu erreichen. Selbstverständlich ohne Atemmaske, aber eben doch auf einer sportlich weniger anspruchsvollen Route. Was war geschehen?


Abschied von der „Supercouloir“-Route

Pulverschnee-Lawinen

Nach einigen Tagen schlechten Wetters machten sich Gerlinde und Ralf erneut auf den Weg zum Fuß der Nordwand, um die Verhältnisse dort zu testen. Zehn bis 15 Zentimeter Neuschnee waren gefallen. Dennoch konstatiert Ralf in seinem Tagebuch der Expedition: „Die Verhältnisse waren besser und sicherer als das letzte Mal – ein 20 Kubikmeter großer Eisserac war heruntergebrochen und bedrohte den Aufstieg nicht mehr.“
Als Ralf jedoch in die Eiswand einstieg, stürzte „wie aus heiterem Himmel“ minutenlang Pulverschnee auf ihn ein. „Es fehlte die Luft. Die um die Griffe der Eisgeräte gespannten Hände wurden allmählich lahm und die Füße – noch im senkrechten Eis – waren nicht mehr zu sehen und zu spüren.“ Kaum ausgestanden, folgte die nächste Schnee-Dusche. Nach einigen Seillängen kehrten die beiden zum Wandfuß und dann ins Basislager zurück.


Pulverschnee-Dusche

Ralf war Risiko zu hoch

Und begannen zu diskutieren. Gerlinde wollte die nächste Schönwetterperiode nutzen, um in die Wand einzusteigen. Ralf war dagegen. Seine Argumente: Wegen der schwierigen Schnee- und Eisverhältnisse in der Wand würde der Aufstieg voraussichtlich mehr als die zwei geplanten Biwak-Nächte erfordern. Brauchbare Plätze für die zusätzliche Rast wären aber nicht vorhanden, müssten in Kräfte zehrender Arbeit aus dem Eis gehackt werden. Zudem stellten die zu erwartenden Pulverschnee-Lawinen eine zusätzliche Gefahr dar.
Nach Ralfs Geschmack war das Risiko zu hoch: „Ich muss einsehen, dass ich nicht mehr so wagemutig bin wie in jungen Jahren. Vielleicht sehe ich mit jahrzehntelanger Erfahrung aber auch die Risiken und Gefahren zu sehr im Vordergrund. Vielleicht habe ich in den langen Jahren des Unterwegs-Seins auch zu viele tödliche Unfälle an den höchsten Bergen gesehen. Vielleicht ist es auch alles zusammen genommen, was mir einen Durchstieg nicht erlaubt.“


Gerlinde wäre gerne in die Wand eingestiegen

„Mir und meiner Intuition zuliebe“

Die Alternative: hinauf zum Nordsattel, dann über die Normalroute zum Gipfel. Das sei, so Ralf, ohne Zusatz-Sauerstoff „immer noch Herausforderung genug“.
Gerlinde dürfte der Rückzieher nicht leicht gefallen sein. Aus den Worten Ralfs spricht tiefe Dankbarkeit: „Auf jeden Fall wird Gerlinde auf die Wand, auf die wir uns so lange vorbereitet haben, mir und meiner Intuition zuliebe verzichten.“

Datum

17. Mai 2010 | 15:55

Teilen