Pech für Siegrist und Schild am Shiva
Shiva hat Ecken und Kanten. Zum einen ist er für die Hindus der Gott der Schöpfung. Doch er wird auch dafür gefürchtet, dass er alles kurz und klein schlägt, wenn ihm eine Laus über die Leber gelaufen ist. Ähnliches gilt auch für den gleichnamigen 6142 Meter hohen Berg im nordindischen Bundesstaat Himachal Pradesh. Mal lockt der Shiva mit seinen steilen Wänden und seiner schönen Form die besten Kletterer der Welt an, dann wiederum gibt er sich widerspenstig – wie in diesem Herbst die Schweizer Bergsteiger Stephan Siegrist und Jonas Schild sowie ihr Fotograf Dominic Fischer erfahren mussten. Siegrist, 45 Jahre alt, und der 26-jährige Schild hatten sich eigentlich vorgenommen, die Nordwand des Bergs zu durchsteigen. Doch irgendwie lief alles schief.
Im Schneckentempo
Erst schlug das voraus gereiste indische Küchenteam das Basislager irrtümlich auf der Süd- statt auf der Nordseite des Shiva auf. Die Bergsteiger verloren Zeit, weil sie den Berg umrunden mussten, um an den Fuß der Shiva-Nordwand zu gelangen. Dann schlug das Wetter um. Tagelang schneite es bis hinunter auf 2500 Meter Meereshöhe. „Wir saßen fest“, schreibt Stephan Siegrist. „Durch 60 Zentimeter Neuschnee erreichten wir schließlich am 26. September doch noch einen Platz auf 3900 Metern, geeignet für ein Basislager.“ Zwei Tage später starteten sie zum Wandfuß. „Teilweise einsinkend bis zur Hüfte, kämpften wir uns wie Schnecken in Richtung Einstieg des Nordpfeilers. Ohne Rucksäcke erreichten wir, unterhalb eines Seracs querend, am selben Tag noch eine Höhe von 5000 Metern. Wir fühlten uns gut.“ Doch wieder begann es zu schneien. Tagelang. Lawinen donnerten ins Tal.
„Sinnlos, gefährlich, spaßfrei“
Die Verhältnisse am Berg hätten sich täglich verschlechtert, berichtet Stephan. Schließlich zog das Team die Reißleine und gab seinen Plan auf, die Nordwand des Shiva zu durchsteigen. „Bei der Neuschneemenge wäre es alles andere als Bergsteigen gewesen, ein sinnloses, gefährliches und nicht spaßiges Gewühle im Schnee“, sagt Siegrist. Das Trio startete noch einen Versuch in Richtung des unbegangenen Shiva-Westgrats, doch auch dort dasselbe Bild: „Wieder versanken wir im Tiefschnee. Die nächsten zwei Stunden gruben wir uns langsam vorwärts, bis es klar wurde, dass es auch hier sinnlos war. Es war frustrierend.“ Die Schweizer brachen ihre Zelte ab. Ein kleines Trostpflaster gab es am Ende der Expedition doch noch. Im tiefer gelegenen Jobri-Nala-Tal meisterte Jonas Schild an einer Felswand einen 20 Meter langen fingerbreiten, überhängenden Riss (den er anschließend mit dem Grad 8a+ auf der französischen Schwierigkeitsskala bewertete). „Ich denke, es ist aktuell die härteste Riss-Kletterroute in Indien“, schreibt Jonas auf Facebook.
Piolet d’Or 2013 für Shiva-Route von Fowler und Rampsten
Der Shiva, der sich in diesem Herbst so widerspenstig zeigte, wurde 1988 von einer japanischen Frauenexpedition von Süden her auf einer einfacheren Route erstbestiegen. Zu dem Team gehörte auch Junko Tabei, die erste Frau auf dem Mount Everest. Im November 2012 meisterten die beiden Briten Mick Fowler und Paul Ramsden den extrem schwierigen Nordostgrat des Shiva. Dafür wurden sie 2013 mit dem Piolet d’Or ausgezeichnet, dem „Oscar der Bergsteiger“.