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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Frei wie ein Vogel

Streng genommen gibt es keine Steigerung von extrem. Denn das Wort beschreibt ja das Äußerste, ist also bereits ein Superlativ. Ich mache jedoch an dieser Stelle eine Ausnahme und steigere extrem: in Dean Potter.


Seit Jahren sorgt der US-Kletterer mit seinen Projekten für Aufsehen. Oft ist er alleine unterwegs, 2002 etwa an den sturmgepeitschten Granitfelsen in Patagonien in Südamerika. Dort durchstieg er in einer Saison als Erster zwei schwierige Routen solo, am legendären Cerro Torre („Kompressor-Route“) und am nicht weniger spektakulären Fitz Roy („Supercanaleta“), die letztgenannte sogar ohne Seilsicherung. „Wenn ich eine Route sehe, frage ich mich als Erstes: Kann ich sie free solo machen?“, sagte der Kletterer einmal in einem Interview.

Spirituelle Dimension

Free solo, der Verzicht auf jede Steighilfe und Sicherung. „Wahnsinn, etwas für Lebensmüde“, sagen die Kritiker. „Klettern in seiner reinsten, ursprünglichen Form“, entgegnen die Befürworter. Dean Potter schert sich nicht darum, was andere von ihm denken. Für den 38-Jährigen hat Klettern eine „spirituelle Dimension“. Er wolle nicht „testen, wie stark meine Finger sind. Ich versuche zu verstehen, wer ich bin und wie ich vielleicht dabei helfen kann, die Welt in einen besseren Ort zu verwandeln.“


Potter in Aktion – free solo

Dean Potter hat noch andere extreme Leidenschaften: Zum einen Slacklining, das Balancieren auf einer gespannten Leine über einem Abgrund. Zum anderen Basejumping, senkrechte Felswände hinab. Im freien Fall, um dann im letzten Moment mit einem Fallschirm den Flug abzubremsen. Es sei für ihn mit „das Schönste, was man tun kann: Nur mit einem kleinen Rucksack am Rande einer Wand zu stehen – und zu springen und frei wie ein Vogel zu fliegen.“

Dying to flying

Warum nicht alles miteinander kombinieren, dachte Dean im Jahr 2008. Er durchstieg die Eiger-Nordwand free solo. Auf dem Rücken trug er den Rucksack mit Fallschirm, gewissermaßen als „Mini-Lebensversicherung“ für den Fall des Absturzes. „FreeBase“ taufte Potter seine Idee. „Ich finde es faszinierend, die schlimmstmögliche Sache in die bestmögliche zu verwandeln: dying to flying (den Tod ins Fliegen).“ Auch beim Slacklining nutzt Potter inzwischen statt der sonst üblichen Sicherung mittels kurzem Seil und Karabiner den kleinen Fallschirm.


Dean ausnahmsweise in „niedriger“ Höhe mit Seilsicherung

Die Eiger-Nordwand meisterte Dean sturzfrei, um sich anschließend doch talwärts zu stürzen: mit einem speziellen Flügelanzug, der ihn fast wie einen Vogel durch die Luft gleiten ließ. Drei Minuten später landete Potter 2000 Meter tiefer. Sein Flug gilt als bisher längster Basejump. Das Magazin National Geographic zeichnete Dean dafür als Abenteurer des Jahres 2009 aus.
Privat lief es für Potter im vergangenen Jahr weniger gut. Seine Ehe mit der Spitzenkletterin Steph Davis scheiterte nach sieben Jahren. Warum, wissen nur die beiden. Am Ende bleibt Dean Potter eben doch nur ein Mensch. Ein extremer.

P.S. Schaut euch doch mal hier das Video über Dean von National Geographic an oder auch dieses! Und wundert euch bitte nicht, wenn ich derzeit etwas seltener im Blog schreibe. Die Fußball-WM beschäftigt mich – extrem.

Datum

19. Juni 2010 | 22:38

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