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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Auf dem Weg zum K 2 (Teil 2): Inshallah

Nichtsahnend saß ich im Restaurant meines Hotels Masherbrum in Skardu und unterhielt mich mit einem Pakistaner, der einige Jahre in Deutschland gelebt hatte. Plötzlich explodierte mein Bauch. Ohne Vorwarnung. Durchfall, wie ich ihn vorher noch nie erlebt hatte. Die Nacht verbrachte ich auf dem Klosett meines Zimmers, geschüttelt von Darmkrämpfen. Im Stundentakt schluckte ich die Tabletten, die ich in meine Reiseapotheke gepackt hatte. Sie zeigten keine Wirkung. Erst gegen Mittag des folgenden Tages hatte ich überhaupt die Chance, für kurze Zeit das Hotel zu verlassen. Ich fand eine Apotheke und kaufte ein indisches Präparat gegen Diarrhoe. Es färbte meinen Urin tiefbraun, und mir wurde speiübel. Aber das Medikament wirkte.


Hauptstraße in Skardu, links mein Bergführer Syed

Mutter auf Zeit

Eigentlich hatten wir schon mit einem Jeep zum Ausgangspunkt der Trekkingtour weiterfahren wollen, doch entgegen der Absprache waren keine Träger verfügbar. Eine Fügung des Himmels, denn ich brauchte diesen zusätzlichen Rasttag dringend. Als wir am nächsten Morgen mit vollgepacktem Jeep starteten, fühlte ich mich zwar schlapp, aber deutlich auf dem Weg der Besserung. „Hi, I’m Fida. I will be your mother in the next weeks.” Mit diesen Worten stellte sich mir unser Koch vor. Bis vor kurzem hatte Fida ein chinesisches Fast-Food-Restaurant in Lahore betrieben, war aber pleite gegangen. Nun arbeitete er als Expeditions- und Trekkingkoch im Karakorum, um Geld für einen zweiten Versuch zu sparen.
Von Skardu aus lagen knapp 130 Kilometer vor uns, über nicht asphaltierte Pisten voller Schlaglöcher. Obwohl wir einige wirklich heikle Stellen passieren mussten, blieb ich ruhig. Ich war viel zu schwach, um mich aufzuregen und fügte mich in mein Schicksal. Inshallah, so Gott will! Mit diesen Worten beendete Syed fast jeden dritten Satz. Mein Bergführer erzählte, dass er vor kurzem einen japanischen Studenten zum K 2-Basislager hatte begleiten sollen. Bei der Ankunft in Askole, dem letzten Dorf vor dem Baltoro-Gletscher, warf der Japaner das Handtuch. Er wollte sofort zurück. Sein Bedarf an Abenteuer sei gedeckt.


Regenbogen über dem Tal von Askole

13 Träger

Als wir in Askole eintrafen, bauten wir schnell die Zelte auf. Noch immer brachte ich nichts Essbares herunter. Nach einer Stunde Schlaf fühlte ich mich besser. Ich machte sogar einen kleinen Spaziergang ins Dorf, wo mich einige Kinder empfingen, die ständig „Photo-Rupies, Photo-Rupies!“ brüllten. Als ich zum Lagerplatz zurückkehrte, waren die Träger damit beschäftigt, die Lasten abzuwiegen und zu verteilen. 25 Kilogramm pro Mann. Dabei diskutierten sie lautstark, wer welche Ladung schultern sollte.
Früh am nächsten Morgen brachen wir auf: Syed, Fida und ich – sowie 13 Träger. Ich hatte nicht gedacht, dass so viele Träger nötig wären, doch das Gepäck summierte sich: Zelte, Küchenausrüstung, Kerosin, Lebensmittel.

Ich war alles andere als im Vollbesitz meiner Kräfte, aber irgendwann fand ich meinen Gehrhythmus. Unser Weg führte uns zunächst durch eine fast wüstenähnliche Landschaft. Die kleinen Sträucher rechts und links wurden seltener und verschwanden schließlich ganz. Es regnete in Strömen, die Gipfel hingen in Wolken. Der schmale Pfad wand sich nun entlang des Braldo-Flusses. Wegen des heftigen Regens war der Gletscherfluss so angeschwollen, dass die Wassermassen an einer Stelle auf einer Länge von fünf Metern den Weg weggespült hatten. Wir mussten auf einer kleinen Felsleite hinüberklettern. Irgendwie schwindelte ich mich auf die andere Seite. Genau dort fiel später am Tag ein Träger einer anderen Gruppe, der sieben Plastikstühle auf dem Rücken trug, ins Wasser, konnte sich aber glücklicherweise noch an Land retten. Völlig durchnässt erreichte er einige Stunden nach uns Jhola.

Zwei Gräber

Der Zeltplatz liegt auf 3200 Metern Höhe. 2004 war er erst ein Jahr alt, finanziert vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen. Die Zelte standen auf abgesteckten Parzellen, es gab sogar rund 20 Toilettenhäuschen und Solarstrom.
Ich aß ein wenig und zog mich dann zurück. Völlig erschöpft von der fast achtstündigen Wanderung und immer noch geschwächt, fiel ich in einen tiefen, traumlosen Schlaf. Am folgenden Morgen hatte wenigstens der Dauerregen aufgehört. Ich fühlte mich deutlich besser.
Irgendwann entdeckte ich am Wegesrand das Grab eines Trägers, der in den Braldo gestürzt, ertrunken und hier wieder angespült worden war. Über eine weitere letzte Ruhestätte stolperte ich fast. Da erst erkannte ich den Kopf eines Esels, der notdürftig im Sand verscharrt worden war.


Ende einer Dienstreise

Unfreiwilliger Abendsport

Der Tag endete in Paiju, auf 3450 Metern. Von diesem Camp aus sieht man direkt auf die Zunge des Baltoro-Gletschers. Auch eine große italienische Expeditionsmannschaft hatte dort ihre Zelte aufgeschlagen. Nur ein Bergsteiger sprach deutsch: Karl Unterkircher. Der sympathische Südtiroler (der leider vier Jahre nach unserer Begegnung, im Juli 2008, im Alter von 37 Jahren am Nanga Parbat beim Sturz in eine Gletscherspalte ums Leben kam) lud mich zum Essen mit den Italienern ein: Aufgetischt wurden echter Parmesan und Parmaschinken, perfetto!


Träger in Pakistan, diskussions- und tanzfreudig

Ich hatte gehört, dass sich in Paiju die Pakistaner abends träfen, um zu singen und zu tanzen – auch um sich gegenseitig ein wenig Mut für die nächsten gefährlichen Tage auf dem Eis zu machen. Dass ein neugieriger Trekker mittanzen muss, hatte mir niemand erzählt. Und so fand ich mich, ehe ich mich versah, in einem etwa fünf Meter breiten Kreis wieder, den rund hundert Träger, Köche und Bergführer gebildet hatten. Ein Mann stand in der Mitte und sang die Strophen. Beim Refrain stimmten alle ein und klatschten wild im Takt, während mich der Sänger herumwirbelte. Alles drehte sich vor meinen Augen, die Beine schmerzten. Nach der vierten Wiederholung des Refrains hatte die Menge ein Einsehen. Ich durfte den Kreis verlassen. Außer Atem, mit wackligen Knien taumelte ich zum Zelt zurück. In meinem Rücken hörte ich die Rufe der Träger: „Very good dance! Excellent dance!“

P.S. Unten könnt Ihr den ersten Teil meiner Reportageserie hören, die 2004 in DW-Radio gesendet wurde. Wundert euch nicht: Die Stücke entsprechen nicht den Blog-Texten. Es kann also sein, dass ihr Sachen hört, die ihr schon im letzten Eintrag gelesen habt.

Radio-Reportageserie (2004): Auf dem Weg zum K 2 (Teil 1)

Datum

23. Juni 2010 | 7:22

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