Auf dem Weg zum K 2 (Teil 5): Wunder der Schöpfung
Ich wollte der Majestät nicht unrasiert vor die Augen treten. Ich griff zum Rasierer und unterzog mich einer schmerzhaften Prozedur. Die Creme schäumte nicht, die Bartstoppeln widersetzten sich der Klinge. Doch ich hatte Zeit. Der König der Achttausender hielt noch nicht Hof, der K 2 versteckte sich hinter Wolken.
Platz der Eintracht
Ich saß vor meinem Zelt auf dem Concordiaplatz, 4600 Meter hoch. Der Brite William Martin Conway gab diesem unvergleichlichen Ort bei seiner Karakorum-Expedition 1892 diesen Namen. Die einen sagen, er habe sich an den Konkordiaplatz in der Schweiz erinnert gefühlt, wo sich drei Firnströme zum Aletschgletscher vereinigen. Die anderen behaupten, Conway sei von der Place de la Concorde zu seiner Namensschöpfung inspiriert worden, dem größten Platz in Paris mit seinem Straßenkreuz. Vielleicht erinnerte sich Conway aber auch nur an seinen Lateinunterricht: Concordia heißt übersetzt Eintracht.
Concordiaplatz, dahinter das Gipfeltrapez des 7932 Meter hohe Gasherbrum IV
Am Zusammenfluss des Baltoro-, des Godwin-Austen- und des Gasherbrum-Gletschers stehen die Sechs-, Sieben- und Achttausender einträchtig Spalier: der Mitre Peak, die Chogolisa, die Gasherbrums I bis IV, der Broad Peak und schließlich der K 2. Das 360-Grad-Panorama am Concordia-Platz ist weltweit einmalig, ein Wunder der Schöpfung.
41 Mal Matterhorn
Ich konnte mich gar nicht satt sehen. Als auch noch der K 2 seine Wolkendecke ablegte, war der Glücksmoment perfekt. Ich saß meinem Traumberg gegenüber. Chogori, großer Berg nennen die Einheimischen den 8611 Meter hohen K 2. Er ist wirklich ein Riese aus Fels und Eis: 41 Mal würde das Matterhorn in ihn hineinpassen. Und er steht frei, im Gegensatz etwa zum Mount Everest, dessen von anderen Bergen verdecktes Gipfeldreieck man auf der nepalesischen Südseite erst erblicken kann, wenn man bis auf etwa 5500 Meter aufsteigt.
Gestatten, Ihre Majestät, der K 2!
Am nächsten Morgen brachen mein Bergführer Syed und ich Richtung K-2-Basislager auf. Dort konnten wir für zwei Nächte Unterschlupf bei einer Expedition finden, die von derselben Agentur organisiert wurde wie meine Trekkingtour. Unser Koch Fida und die Träger blieben am Concordiaplatz zurück.
Pellkartoffeln am Broad Peak
Ich war in Hochstimmung. Die Füße liefen wie von selbst. Ich hatte Mühe, den Blick vom K 2 zu wenden und mich auf den Weg zu konzentrieren. Nach sechsstündiger Wanderung machten wir noch einen Abstecher zum Basislager des Broad Peak, der 8051 Meter hoch ist und zu den leichter zu besteigenden Achttausendern zählt. Ich traf die beiden Österreicher wieder, mit denen ich die abenteuerliche Fahrt im Kleinbus über den Karakorum-Highway geteilt hatte. Auch eine Expedition aus Leipzig hatte ihre Zelte zu Füßen des Broad Peak aufgeschlagen. Der 35 Jahre alte Peter Kiefer, der gemeinsam mit seinem Bruder Steffen seinen ersten Achttausender besteigen wollte (Sie drehten später auf 7200 Metern um), war voller Tatendrang: „Es ist ein sportliches Highlight, ähnlich wie die Olympischen Spiele. Wir wollen unser Bestes geben.“
Die Kamelbuckel des Broad Peak
Peter und Steffen luden mich zum Pellkartoffel-Essen ein, deutsche Küche in Pakistans Bergen. Die treuen Deutsche-Welle-Sporthörer informierten mich auch über den Fortgang der Europameisterschaft in Portugal. Deutschland war bereits nach der Vorrunde ausgeschieden, ich hatte also nichts verpasst.
Vom Broad-Peak-Basislager aus schien der K 2 zum Greifen nahe. Der zweithöchste Berg der Erde nötigte auch Peter Respekt ab: „Das ist der schwierigste Berg der Welt. Da sollte man schon sehr viel Erfahrung an den Achttausendern mitbringen.“ Zwei Stunden später trafen Syed und ich im Lager zu Füßen des K 2 ein.