Lampenfieber und Adrenalinkick
Einen Preis als „Vater des Jahres“ wird Denis Urubko mit dieser Aussage wohl kaum gewinnen: Er sei sich zwar der Verantwortung für seine drei Kinder bewusst, aber „sie wachsen so oder so auf, mit oder ohne meine Hilfe“.
Natürlich, so der Kasache, wäre er lieber stets da, um sie zu unterstützen. „Aber es ist mein Leben, in dem ich mein Bestes geben muss, nicht nur für die Kinder, auch für mich selbst. Vielleicht klingt das egoistisch, und andere verstehen es nicht. Aber das ist nun einmal meine Meinung.“
Denis Urubko
Ständig unterwegs
Kompromisse sind nicht unbedingt seine Sache. Zwei gescheiterte Ehen hat Denis schon hinter sich, jetzt ist er mit der Russin Olga verheiratet. „Wir wohnen zwar offiziell in der kasachischen Stadt Almaty, aber eigentlich leben wir überall auf der Welt“, erzählt mir Urubkos Frau während der Wanderung beim International Mountain Summit in Brixen. Denis ist fast dauernd in den Bergen unterwegs. Urubko hat – als achter Mensch – alle 14 Achttausender ohne Flaschen-Sauerstoff bestiegen. Vier davon erklomm er sogar zweimal.
Zeitschrift war schuld
Seine Leidenschaft für die Berge erwachte früh, als sein Vater ihn zum Jagen mitnahm. So richtig „klick“ habe es allerdings erst gemacht, als er einmal ein Bergsteiger-Magazin in die Finger bekam. Darin wurde über Reinhold Messners Solobesteigung des Nanga Parbat berichtet und über zwei Kasachen, die am Dhaulagiri eine neue Route eröffnet hatten. „Von diesem Moment an hatte ich das Bergsteigen als meinen ‚Gott‘ gefunden, dem ich in Zukunft folgen wollte“, sagt Denis.
Denis nahm kein Blatt vor, aber einen Apfel in den Mund
Als Russe in Kasachstans Armee
Weil er den hohen Bergen nahe sein wollte, zog Urubko, der auf der russischen Insel Sachalin aufgewachsen war, mit 19 Jahren nach Kasachstan. Obwohl er damals noch russischer Staatsbürger war, trat er in die kasachische Armee ein. Grund: Es gab dort eine Sportgruppe von Bergsteigern.
Denis kletterte, so häufig er konnte, im Tian-Shan-Gebirge – auch im Winter, als Training für die Expeditionen im Himalaya und Karakorum, die er schon damals im Hinterkopf hatte. Im Jahr 2000 bestieg Urubko den Mount Everest, in den folgenden neun Jahren auch die restlichen Achttausender.
Um den Schlaf gebracht
2009 war ein besonderes Jahr für den Kasachen: Mit seinem italienischen Freund Simone Moro gelang Denis im Februar die erste Winterbesteigung des Makalu. Im Mai durchstieg er mit seinem Landsmann Boris Dedeshko die Südwand des Achttausenders Cho Oyu, über eine neue, schwierige Route (siehe links). „Das war die gefährlichste Tour meines Lebens: Lawinen, mieses Wetter, unsere schlechte Verfassung“, erinnert sich Urubko. „Manchmal werde ich jetzt noch nachts wach und erinnere mich an diese Situationen. Dann schüttelt es mich regelrecht, und ich kann kaum wieder einschlafen.“ Für dieses Projekt erhielten die beiden Kasachen 2010 den Piolet d’Or, den Goldenen Pickel, so etwas wie den Oscar der Bergsteiger.
Wenn die Zeit reif ist
Am liebsten steigt Denis im Alpinstil auf die höchsten Berge: ohne Atemmaske, Hochlager und Fixseile, im kleinen Team, mit wenig Gepäck. Bergsteigen, sagt Urubko, sei für ihn nicht einfach nur Sport. „Vor vielen Jahren habe ich mich als Schauspieler versucht. Für mich spielt das Künstlerische immer noch eine große Rolle: Lampenfieber zu haben, mich auszudrücken, auch Risiken einzugehen. Es setzt Adrenalin frei, gefährliche Routen zu klettern und am Leben zu bleiben.“ In erster Linie suche er das Abenteuer, so Denis, aber er finde in den Bergen auch die Freiheit. „Hier kann ich Situationen ändern, allein mit meinen Händen und meinem Willen.“ Dennoch ist der Kasache lieber mit Freunden unterwegs als allein. Solo-Bergsteigen in großer Höhe sei „wie eine Droge: interessant, aber zu gefährlich“.
Mit Simone Moro will Denis demnächst den Gasherbrum II in Pakistan erstmals im Winter besteigen. Doch seinen ganz großen Traum hebt er sich für später auf: „Eine neue Route auf den Mount Everest, im Alpinstil. Wenn die Zeit dafür reif ist.“