Gute Zeit
Sie trägt die Vier mit einem Lächeln im Gesicht. Im vergangenen Dezember feierte Gerlinde Kaltenbrunner ihren 40. Geburtstag. „Es war schon so, dass ich einmal alles habe Revue passieren lassen“, gesteht Gerlinde (unser Gespräch könnt ihr unten nachhören). „Aber ich bin nicht in eine Krise gerutscht. Ich spüre vielmehr, dass jetzt für mich eine richtig gute Zeit angebrochen ist.“
„Miss Oh muss vor sich selber geradestehen“
Gerlinde wirkt locker, fast ein wenig befreit. Endlich ist das Gerede über den Wettlauf der Frauen um die Achttausender-Krone ad acta gelegt. Ob nun der Südkoreanerin Oh Eun Sun die Ehre gebührt oder der Spanierin Edurne Pasaban, Gerlinde kann es egal sein. „Ich war erleichtert“, sagt die Österreicherin, die mit ihrem Mann Ralf Dujmovits in Bühl am Schwarzwald lebt. „Ich habe immer versucht, den Druck von mir fernzuhalten. Irgendwann habe ich gemerkt, ich mache das nur für mich selber, und was geschrieben und gesagt wird, sollte mir eigentlich egal sein. Das war nicht immer ganz leicht.“ Natürlich verfolgt auch Gerlinde die nicht verstummenden Diskussionen darüber, ob Miss Oh 2009 wirklich den Gipfel des Kangchendzönga erreicht hat. Das sei aber nicht ihr Problem, meint Gerlinde, sondern das der Koreanerin. „Sie muss mit dem, was sie nach außen trägt, zurechtkommen und letztendlich vor sich geradestehen. Ich steigere mich da nicht rein. Ich würde niemals ein Urteil abgeben, ob ja oder nein.“
Im Traum Begegnung mit dem abgestürzten Freund
2010 war ein hartes Jahr für Gerlinde. Am K 2 musste sie auf etwa 8000 Metern hilflos mit ansehen, wie der Schwede Fredrik Ericsson, mit dem sie morgens aufgebrochen war, an ihr vorbei in den Tod stürzte. „Ich war völlig gelähmt, konnte gar nicht reagieren. Im ersten Moment habe ich einfach nur funktioniert. Ich wusste, ich muss jetzt schauen, dass ich selbst gut herunterkomme. Ich darf keine Fehler machen.“
Fredrik Ericsson, 1975-2010
Erst hinterher habe sie begonnen, das Drama zu verarbeiten. „Das Bild des abstürzenden Freundes habe ich sehr lange mit mir herumgetragen.“ Erst hatte sie es meist tagsüber vor Augen. Später träumte sie davon, zuletzt „auf eine andere Weise, eher in Form von Zwiegesprächen mit Frederik.“ Ans Aufhören dachte Gerlinde nie. „Das wäre nie und nimmer in Frederiks Sinne. Er hat ausgelebt, was er am allerliebsten tat. Er hat versucht, seine Träume zu verwirklichen. Und das mache ich auch.“
Andere Seite des K 2 kennenlernen
Langsam aber sicher tastet sich Gerlinde gedanklich wieder an den K 2 heran, den letzten Achttausender, der noch in ihrer Sammlung fehlt. Dreimal versuchte sie sich an ihm, dreimal kehrte sie mit leeren Händen zurück, im vergangenen Sommer sogar mit dem schrecklichen Erlebnis im Gepäck. „Ich hatte monatelang überhaupt kein Gefühl, ob ich noch einmal zum K 2 zurückkehren sollte oder nicht. Aber jetzt spüre ich, dass es mich wieder hinzieht.“
Gerlinde im Biwakzelt am K 2
Es geht ihr jedoch nicht darum, irgendwie den Gipfel zu erreichen, nur um den „König der Achttausender“ abzuhaken und die Sammlung zu vervollständigen. „Ich würde gerne eine andere Seite des K 2 kennenlernen, auch wenn sie schwieriger ist und die Chance nicht so groß, dass ich es schaffe.“ Ihren Optimismus hat Gerlinde nicht verloren. „Irgendwann wird der K 2 mich herauflassen. Ob es aber jetzt im Sommer sein wird, in zwei oder drei Jahren, das weiß ich nicht.“ Sie lässt es auf sich zukommen, mit der Gelassenheit einer 40-Jährigen, die niemandem mehr etwas beweisen muss.