More DW Blogs DW.COM

Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Die Würde des Bergs ist antastbar

In Kürze beginnt die Frühjahrs-Saison am Mount Everest. Da man den höchsten Berg der Erde in Nepal inzwischen auch über eine Breitband-Verbindung mit dem Handy erreichen kann, habe ich ihn gleich mal angerufen. Nach dreimaligem Klingeln hob er tatsächlich ab:

Hallo, hier Chomolungma!

Hallo, hier ist Stefan. Seit wann meldest du dich denn nicht mehr mit ‚Mount Everest‘?

Der tibetische Name gefällt mir einfach besser. ‚Göttinmutter der Erde‘ klingt würdevoller als der Name eines ollen englischen Landvermessers, der mich nur aus der Ferne gesehen hat.

Schön, dass ich dich unter der neuen Handynummer erreiche. Sitzt du am Gipfel?

Nein, unten im Basislager. Oben ist noch kein Empfang. Aber es ist wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis sie mir auch einen Sendemast in den Schädel rammen.

Das klingt verbittert.

Dazu habe ich ja auch allen Grund, oder? Die Würde des Bergs ist antastbar. Das erlebe ich Jahr für Jahr.


Und wann kommt Paris Hilton?

Aber du hattest doch jetzt – abgesehen von den wenigen Bergsteigern, die sich im Herbst an dir versucht haben – sieben Monate Zeit für dich.

Ein knappes Dreivierteljahr gegen eine handfeste Depression!

Was bekümmert dich denn so?

Wo soll ich anfangen? Vielleicht damit, dass sie mich bald wieder in Fesseln legen. Fixseile bis hinauf zum Gipfel. Auf der Nord- und der Südseite! Damit mir auch noch der letzte Profilneurotiker aufs Haupt steigen kann. Ich frage mich ernsthaft, wann Paris Hilton hier auftaucht.

Profilneurotiker sind auch schon früher auf dir herumgekraxelt.

Ja, aber die konnten wenigstens bergsteigen und hielten Steigeisen nicht für gerade angesagte High-Heels.

Auf dem Weg zum Kindesmörder

Hinaufsteigen müssen die Leute doch immer noch selbst.

Die Betonung liegt auf noch. Wahrscheinlich erfindet demnächst jemand eine elektrische Everest-Aufstiegshilfe, ähnlich einem Treppenlift für Senioren.

Apropos Senioren…

Ein 76-Jähriger steht im Guinness-Buch der Rekorde. Aber ganz ehrlich, das lässt mich ziemlich kalt. Wenn sich einer in dem Alter übernimmt und das Zeitliche segnet, ist er nicht nur selbst schuld, sondern hat auch sein Leben gelebt. Aber ein 13-Jähriger wie im letzten Jahr Jordan Romero, der Junge aus den USA? Und jetzt wollte mir ein durchgeknallter Vater aus Nepal sogar einen Neunjährigen auf den Hals hetzen. Mal sehen, wie lange die Behörden hart bleiben. Irgendwann machen die mich noch zum Kindesmörder.

Kannst du dich denn gar nicht wehren?

Einmal, vor 15 Jahren, habe ich kurz die Muskeln spielen lassen. Acht Tote an einem Tag. Und was habe ich erreicht? Einige haben sich mit ihren Büchern über die so genannte ‚Katastrophe 1996‚ eine goldene Nase verdient. Ich habe fast den Eindruck, dass durch diese Geschichte noch mehr blutige Berglaien herangespült wurden. Dabei wollte ich doch das Gegenteil erreichen.


Exklusiv ist anders

Kannst du nicht deine Kontakte zum Himmel nutzen? Schließlich klopfst du doch da oben an die Tür.

Die Zusammenarbeit funktioniert auch ganz gut. Das Wetterfenster öffnet sich nur kurz. Aber dann geht es auf meinen Schläfen zu wie auf einem Ameisenhaufen. An den wenigen Gipfeltagen 2010 wurden 512 erfolgreiche Besteigungen notiert. Insgesamt sind es jetzt schon über 5000. Exklusiv ist anders.

Wird es denn in diesem Jahr ein bisschen ruhiger?

Du glaubst wohl noch an den Weihnachtsmann. Ich rechne an den Hauptreisetagen mit langen Staus auf den Normalwegen. Vielleicht sollte jemand in den Basislagern Hupen verkaufen. Dabei kannst du hier durchaus auch Ruhe finden. Du brauchst dich nur auf den Weg zur Nord- oder zur Ostwand machen. An diesen Routen versucht sich nur ganz selten jemand: Zu anspruchsvoll, zu gefährlich, wenig erfolgversprechend.

Stichwort ‚erfolgversprechend‘. Auch in diesem Jahr wird es doch sicher wieder Leute geben, die nach der Leiche des 1924 ums Leben gekommenen Engländers Andrew Irvine suchen – samt seiner Kamera mit möglichen Gipfelfotos.

Davon gehe ich schwer aus. Aber das sehe ich ganz gelassen. Den Irvine habe ich wirklich gut versteckt. Sollten sie ihn wider Erwarten doch finden, freue ich mich schon auf die Gesichter. Beim Absturz ist die Kamera nämlich zu Bruch gegangen, und der Lichteinfall hat den Film ruiniert.

Eigentlich würde ich dich ganz gerne noch einmal besuchen.

Untersteh‘ dich!

Aber anrufen darf ich doch wieder?

Klar, ich habe doch jetzt ein Handy.

Datum

4. März 2011 | 13:24

Teilen