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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Keilkissen in den Rucksack?

Olympus Mons, Mars-Bergriese

Gegen den höchsten Berg des Mars ist der Mount Everest ein Zwerg. Der Olympus Mons ragt 26 Kilometer über die Oberfläche des roten Planeten hinaus. Das ist jedoch nicht der Grund, warum sich das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) mit der Höhenkrankheit befasst. Für eine – wie ich finde, sehr interessante – Studie werden Bergsteiger gesucht, die zwischen dem 7. und 20. August nach einer Nacht auf der Gnifetti-Hütte (3647 Meter) zur Margherita-Hütte aufsteigen. Die „Capanna Regina Margherita“ steht auf dem Gipfel der Signalkuppe in den Walliser Alpen und ist mit 4554 Metern das höchstgelegene Gebäude Europas. Die Wissenschaftler des DLR wollen herausfinden, ob es gegen die Höhenkrankheit hilft, wenn man mit erhöhtem Oberkörper schläft. Die Probanden sollen Keilkissen nutzen, die dafür sorgen, dass sie um 30 Grad erhöht liegen. Auf Intensivstationen in Krankenhäusern werden solche Kissen seit langem erfolgreich eingesetzt.

Bergsteiger, die im August 2017 zur Schutzhütte Regina Margherita aufsteigen und an der Studie teilnehmen möchten, können sich entweder vorab per Mail unter ams@dlr.de anmelden oder sich an der Talstation in Alagna sowie der Gnifetti-Hütte bei den DLR-Mitarbeitern melden. Ich habe mit Dr. Ulrich Limper gesprochen, der die Studie leitet. Der 35-jährige Arzt arbeitet seit drei Jahren beim DLR.

Dr. Limper, warum interessiert sich überhaupt ein Zentrum für Luft- und Raumfahrt für die gesundheitlichen Probleme von Bergsteigern? Gibt es etwa Gemeinsamkeiten zwischen Astronauten und Bergsteigern?

Aufstieg zur Margherita-Hütte

Beginnen wir mit den Astronauten: Sie haben Probleme mit ihren Augen, wenn sie von Langzeitmissionen in der Raumstation zurückkehren. Das wird als „VIIP-Syndrom“ bezeichnet, das steht für Visual Impairment and Intracranial Pressure (Sehbeeinträchtigung und erhöhter Hirndruck). Die Sehkraft ist eingeschränkt. Man hat herausgefunden, dass in der Schwerelosigkeit das Blut in den Kopf steigt und dort oben verweilt, weil die Schwerkraft fehlt, um es wieder herunterzuziehen. Die Höhenerkrankung hat eine ganz ähnliche Ursache. Wenn Sauerstoffmangel herrscht, weiten sich die Gefäße zum Gehirn hin, die Arterien, um noch mehr Blut zum Gehirn zu transportieren. Die Venen, die das Blut wieder vom Kopf wegführen, haben offenbar nicht die Fähigkeit, sich entsprechend zu weiten. Daher staut sich das Blut im Kopf, und es kommt zu den üblichen Symptomen der Höhenkrankheit wie Übelkeit und Kopfschmerz.

Außerdem werden sich Astronauten in der Zukunft, etwa wenn man an die Mission zum Mars denkt, in künstlichen Atmosphären aufhalten, die jenen im Hochgebirge ähneln: niedriger Druck, bis zu einem bestimmten Level auch Sauerstoffmangel. Das macht es für uns als Weltraummediziner so spannend, über Bergsteiger nachzudenken.

Die Capanna Regina Margherita auf 4554 Metern

Da liegt der Schluss nahe, dass Bergsteiger eigentlich super qualifiziert sein müssten, ins All zu starten.

Natürlich sind das noch einmal ganz andere Herausforderungen. Aber prinzipiell haben Sie recht. Höhenbergsteiger sind oft sehr kontrollierte Menschen, die auch mit Extremsituationen umgehen und sehr rational handeln können. Immer wenn die Europäische Weltraumorganisation neue Astronauten sucht, gibt sie in einem ersten Schritt einen Fragebogen aus, wo diese Dinge abgefragt werden. Man kann Punkte sammeln, wenn man in seiner Freizeit etwa bergsteigen oder tauchen geht, also all diese Dinge tut, bei denen man seinen Körper unter Kontrolle haben muss.

Ein Kissen unter dem Kopf als Rezept gegen Höhenkrankheit? Das klingt fast zu einfach, um wahr zu sein? 

Es ist eben ein sehr pragmatischer Ansatz. Wir gehen nicht davon aus, dass wir damit die Höhenkrankheit vermeiden können, sondern es soll ein Puzzleteil im Gesamtkonzept sein. Wir wollen zeigen, dass die Leute, die das Kissen gewissermaßen als physikalische Therapie nutzen, weniger höhenkrank werden als jene, die darauf verzichten. Wir gehen davon aus, dass sich das Blut nachts im Kopf noch mehr staut, weil man flach liegt und das Blut dadurch noch weniger abfließt. Deswegen geht es den Bergsteigern auch morgens schlechter als abends. Das hat eine Studie belegt, die wir im vergangenen Jahr durchgeführt haben. 

Ganz neu ist der Ansatz nicht. Ich zitiere aus dem Buch „Höhenanpassung“ von Klaus Mees aus dem Jahr 2005: „Hilfreich ist oft auch die Hochlagerung des Oberkörpers, z. B. mit Rucksack oder Kleidungsstücken unter Isomatte oder Schlafsack.“

Everest-Krankenstation

Es stimmt, diese Empfehlung gibt es. Aber wir wollen auch wissenschaftlich beweisen, dass es hilft. Wenn Sie auf eine Berghütte steigen, werden sie niemanden finden, der es wirklich macht. Auch wenn Sie sich im Internet Bilder ansehen von höhenkranken Bergsteigern im Everest Base Camp oder sonstwo: Die liegen alle komplett flach, sie tragen eine Sauerstoffmaske im Gesicht und haben einen Sättigungsclip am Finger, aber fast niemand wird mit dem Oberkörper hoch gelagert. Wenn wir beweisen können, dass das Schlafen mit erhöhtem Oberkörper wirklich eine einfache und wirksame Maßnahme gegen die Höhenkrankheit ist, könnte man sie auch mit deutlich größerer Vehemenz vertreten.

Sie messen bei den Probanden lediglich Sauerstoffsättigung und Puls und ermitteln mit einem Fragebogen, ob Symptome der Höhenkrankheit vorliegen. Ist dieses Verfahren nicht zu grob, um Mikroprozesse, die sich unter Umständen im Gehirn abspielen, zu erfassen?

Über den Mechanismus der Höhenkrankheit werden wir hinterher nichts sagen können, sondern nur darüber: Funktioniert die Methode oder funktioniert sie nicht? Wollten wir den Mechanismus erforschen, würde es mehr Sinn machen, statt auf eine Berghütte in eine Höhenkammer des DLR zu gehen, wo man alle Bedingungen kontrollieren und sich die Mikroprozesse genau ansehen kann. Wir haben jedoch mit unserer Studie einen ganz pragmatischen Ansatz. Es bringt jedem Bergsteiger etwas, wenn wir den Therapieerfolg beweisen, oder eben nicht. Daher macht es auch Sinn, die Studie so einfach wie möglich durchzuführen. Wir nehmen ja keine Probanden mit, sondern arbeiten mit Bergsteigern, die sowieso auf den Hütten sind. Wir gehen davon aus, dass die Leute umso mehr mitmachen, je weniger sie sich in ihrer Bergsteigerei belastet fühlen.

Sollte sich Ihre Hypothese bestätigen, darf das Keilkissen im Rucksack von Höhenbergsteigern und Mars-Astronauten künftig nicht mehr fehlen, oder?

Es wäre zumindest nicht verkehrt, es mitzunehmen.

Datum

5. Juli 2017 | 23:13

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