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Abenteuer Sport

mit Stefan Nestler

Vermisst am Kili: Demut und Respekt

Kili im Morgenlicht

Das Gipfelzertifikat liegt zu Hause, ich könnte also eigentlich einen Haken hinter den Kilimandscharo machen. Doch der höchste Berg Afrikas beschäftigt mich auch noch eine halbe Woche nach der Heimkehr. Zu zwiespältig waren meine Gefühle während der acht Tage am Kili. Auf der einen Seite durfte ich gastfreundliche und hilfsbereite Tansanier, ein harmonisches Expeditionsteam und eine wirklich beeindruckende Natur erleben. Der Aufstieg durch die verschiedenen Vegetationsstufen bescherte mir viele unvergessliche Momente. Auf der anderen Seite offenbarten sich mir aber auch einmal mehr die Kehrseiten des Massen-Bergtourismus.

Exkremente am Wegesrand

Karawane zur Kibo Hut

Obwohl Jahr für Jahr rund 30.000 Menschen versuchen, den Kilimandscharo zu besteigen, fehlen sowohl ein schlüssiges Hygiene-, als auch ein Müllkonzept. So gibt es zwar etwa an der Kibo Hut auf 4700 Metern einige einfache Toiletten, doch es fehlt Wasser, um sich die Hände zu waschen. Die wenigen Toilettenverschläge entlang der Marangu-Route sind nicht viel mehr als Makulatur. Hinter fast jedem Felsbrocken neben dem Weg liegen menschliche Exkremente und Klopapier. Viele Gipfelaspiranten werfen zudem ihren Müll einfach achtlos in die Gegend.

Bessere Chancen für Dicke?!

Am Ende am Boden

Noch niemals zuvor habe ich an einem Berg so viele unvernünftige, sich selbst überschätzende Gipfelanwärter gesehen wie an dem Fast-Sechstausender südlich des Äquators. Zum Beispiel jenen britischen Teenager, der bereits auf 4000 Metern mit glasigem Blick herumtorkelte und meinte, er sei nur müde. Sein Expeditionsleiter ignorierte zunächst unseren Hinweis, der Junge sei höhenkrank. Derselbe Expeditionsleiter hatte mir am Vortag erklärt, dass nach seiner Erfahrung dicke Menschen besonders gute Chance hätten, den Gipfel zu erreichen. Seine Begründung: Dicke bewegten sich auch im normalen Alltag langsam, und das sei schließlich genau die richtige Taktik am Kilimandscharo.

Rolltragen im Dauereinsatz

Ich sah Koreaner, die schon nach dem Aufstieg zur Kibo Hut so ausgezehrt und erschöpft aussahen wie Hermann Buhl 1953 nach seinem legendären Solo-Gipfelgang am Nanga Parbat. Wenige Stunden später brachen sie Richtung Uhuru Peak auf, gefüttert mit Diamox, wie die leeren Blister auf der Toilette bewiesen. Einige mussten hinterher den Berg heruntergetragen und anschließend mit Rolltragen abwärts transportiert werden. Kein Tag verging ohne solche Rettungsaktionen. Wobei es eine Bergrettung im engeren Sinn am Kili noch gar nicht gibt. Überdrucksäcke zur Erstversorgung an der Kibo Hut? Fehlanzeige. Als unser Arzt von der Uni-Marburg bei einem Höhenkranken vorübergehend Flaschensauerstoff einsetzte, wurde er vom plötzlich sehr nervösen Offizier vor Ort gefragt, ob der Patient denn auch wirklich in Lebensgefahr schwebe.

Landeplätze, aber keine Hubschrauber

Hubschrauber-Landeplatz

Auf der Marangu-Route existieren zwar einige Hubschrauber-Landeplätze, die bisher aber nur von Vögeln angeflogen werden. Nach dem Abtransport mit der Rolltrage werden die Höhenkranken an der Horombo Hut auf 3700 Metern in einen Jeep umgeladen und über eine staubige Piste ins Flachland gefahren. Schwere Fälle können nur im Universitätskrankenhaus der Stadt Moshi behandelt werden. Der Transport kostet viel Zeit, die im extremen Notfall über Leben oder Tod entscheiden kann.

Todesfälle werden totgeschwiegen

Gletscher im ersten Tageslicht

Über die Bergsteiger, die am Kilimandscharo an der Höhenkrankheit sterben, redet man nur hinter vorgehaltener Hand. In der Woche vor unserer Ankunft auf der Horombo Hut seien dort zwei Bergsteiger nach ihrem Gipfelgang gestorben, wurde uns erzählt. Die beiden hätten sich schlafen gelegt und seien nicht mehr aufgewacht. Hatten sie sich selbst über- und den angeblichen „Wanderberg“ unterschätzt, wie so viele am Kilimandscharo? Ich traf „Gipfelstürmer“, die den höchsten Punkt in nur drei (!) Tagen erreicht hatten. Die meisten nahmen sich fünf Tage Zeit, um die rund 4000 Meter zum Gipfel zu überwinden – auch das eigentlich zu kurz, um sich vernünftig zu akklimatisieren.

Hauptsache Gipfelzertifikat

Letzter Blick auf den Kili

Ich vermisste am Kilimandscharo vor allem zweierlei: Demut und Respekt. Demut vor dem wenn auch technisch leichten, so doch hohen Berg. Respekt vor den Grenzen der eigenen Leistungsfähigkeit und der Möglichkeit, höhenkrank zu werden. Demut vor der Natur, die wir als Geschenk betrachten sollten. Respekt gegenüber den einheimischen Guides, die so viel mehr Kili-Erfahrung haben als die Gäste aus dem Ausland. Stattdessen: Mit Tunnelblick auf den Gipfel. Hauptsache, das Gipfelzertifikat hängt demnächst an der Wand.

Datum

2. März 2018 | 17:00

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